Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
Vom Netzwerk:
wir sind gleich bei Ihnen, Frau Fischer.« Es war mir wahnsinnig peinlich, dass ich die Orientierung verloren hatte. In diesem Moment bezweifelte ich sogar, mein eigenes Auto jemals wiederfinden zu können. Als der grünsilberne Polizei-BMW am Waldrand auftauchte, fühlte ich mich erschütternd sicher. In einer halben Stunde war ich um Jahrzehnte gealtert. Bis heute Mittag hatte ich mich für eine mutige junge Frau gehalten, die sich wohler fühlt, wenn die Polizei außer Sicht ist.
    Kurz nach der Frau-Fischer-Schleife ertönte das Martinshorn eines Notarztes, später kamen weitere Autos, anfangs parkten sie auf dem breiten Feldweg, später irgendwo am Wald oberhalb des Hochsitzes. Die Insassen beachteten mich nicht, für mich waren zwei grün uniformierte Schutzpolizisten zuständig, welcher von ihnen mich so penetrant mit Frau Fischer angesprochen hatte, fand ich nicht heraus,
da sie meinen Namen nun vergessen hatten. Die anderen Leute waren in Zivil: Jeans, Anzug, Sommerkleid und Kostüm, sie begrüßten sich wie alte Bekannte, redeten kurz miteinander und begannen zu arbeiten, wozu sich manche von ihnen zu Schneemännern verkleideten. Sie beugten sich über die Leiche, gingen mit gesenkten Köpfen um den Hochsitz, stiegen hinauf und beratschlagten in erträglichem Geruchsabstand.
     
    Flipper saß aufmerksam im Schatten, und zwar in seiner Fernsehhaltung, mit überkreuzten Pfoten, allerdings ein wenig aufrechter. Er saß so da, als wäre dies alles sein Verdienst. Manchmal kniff er die Augen zusammen, dann wieder schüttelte er den Kopf, als könne er nicht begreifen, warum sie der Fährte, die unüberriechbar vor ihnen lag, nicht folgten.
    Menschen eben.
    Gelegentlich warf er mir einen triumphierenden Blick zu. Okay, okay, funkte ich zurück, du hast dir die Fernbedienung geschnappt, na und? Im Schatten sitzend hechelte er leicht und rhythmisch vor sich hin, gelegentlich tropfte Speichel ins Gras, und ich überlegte, was ich ihm zu Hause servieren könnte, damit die Gewebeprobe schnellstmöglich neutralisiert wäre.
     
    »Ich kann nichts dafür, dass ich die Leiche gefunden habe, ich habe sie gar nicht gefunden, mein Hund hat sie gefunden. Ich bin bloß mitgegangen«, erklärte ich auf Nachfrage zum wiederholten Mal. Flipper kratzte sich hinterm Ohr und schaute peinlich berührt weg. Er mag das nicht, wenn ich
so schwach und unentschlossen bin. Er bevorzugt eine starke Chefin, keinen weichen Eierstock. Ich im Übrigen auch. Dennoch rang ich mich schließlich durch zu »wir haben die Leiche gefunden«. Das stiftete Verwirrung, jetzt wollten sie wissen, wer wir sei. »Ich und mein Hund«, sagte ich. Flipper seufzte. »Mein Hund und ich«, korrigierte ich. Nun seufzten die Beamten. »Also ich«, wiederholte ich. Hier fehlte eindeutig das bürgernahe Verhandlungsgeschick mit einer Hundehalterin. Das wunderte mich. Ich war doch kein Einzelfall, wie ich in der Vergangenheit unzähligen Zeitungsmeldungen entnommen hatte. Ich entschied mich letztlich für die Variante: »Bei einem Spaziergang mit meinem Hund habe ich etwas unter dem Hochsitz entdeckt, wobei ich den Hochsitz erst später gesehen habe.«
    »Das haben Sie mir schon mal gesagt«, sagte eine Polizistin zu mir. »Sie haben es mir sogar schon dreimal gesagt«, wurde sie unhöflich deutlich. »Geht es Ihnen nicht gut?«
    Dein Freund und Helfer , dachte ich. Deine Freundin und Helferin , brachte ich es in die richtige Form, wodurch es sogleich an Kraft verlor. Der Freund hatte einen starken Oberarm mit stählernem Bizeps brachiali, die Freundin bloß eine Tasse lauwarmer Brühe parat und einen Kugelschreiber, mit dem ich eine Zeugenbelehrung inklusive einer Einverständniserklärung zur Aufnahme auf Tonträger unterzeichnet hatte.
    »Sollen wir Sie zu einem Arzt begleiten? Der Notarzt ist ja leider schon weg.«
    »Ich habe bereits am Telefon gesagt, dass die Leiche eine Leiche ist«, versuchte ich einen klaren, präsenten, geistig wachen Eindruck zu vermitteln, »also hätte es gar keinen Notarzt gebraucht.«

    »Der Notarzt kommt immer mit«, erklärte mir die Beamtin. »Er muss den Totenschein ausstellen.«
    »Und sich um die Leichenfinder kümmern?«, vollendete ich und dachte, dass Leichenfinder ein komisches Wort war, andererseits gehört es vielleicht zur Gruppe der Pfadfinder, die sich auch gern in Wäldern herumtrieben.
    »Als normaler Mensch ist man ja nicht an den Anblick einer Leiche gewöhnt«, sagte die Beamtin freundlich. »Da kann man schon mal

Weitere Kostenlose Bücher