Alle Vögel fliegen hoch
großer Traum, ein unerfüllbarer zumal, weil er da einen Jagdschein gebraucht hätte, und den wollte er nicht machen.«
»Aber dann könnte er doch einen solchen Fangkäfig aufgestellt haben!«, rief ich.
»Nein.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Der hat die Vögel geliebt. Alle. So einer greift nicht ein. So einer beobachtet. Macht sich unsichtbar. Verschmilzt mit der Umgebung. Ich hätte gedacht, er ist vielleicht weggezogen aus Bayern. Woanders geht das nämlich ohne Jagdschein. Hier sind sie besonders streng. Aber immer nur gegen die Greifvögel. Vielleicht hat er auch Angst vor der Prüfung gehabt. So geht es vielen Leuten. Die Jägerprüfung ist nicht leicht. Da sind schon ganz andere durchgefallen. «
»Der Klaus Hase hat im Patentamt gearbeitet«, sagte ich, weil ich sehen wollte, wie der Waldschrat darauf reagierte. Ein Physiker würde die Formeln, die Klaus Hase vielleicht herausgeschmuggelt hatte, immerhin verstehen und könnte einschätzen, um welche Kapitel im Kapital es sich dabei drehte. Von Physik hatte ich keine Ahnung, aber es war mir klar, dass man mit Patenten sehr viel Geld verdiente – und
Geld konnte Klaus Hase bestimmt gut brauchen, pleite wie er war.
Da fragte Ludwig Metzger unvermittelt: »Wie ist es denn passiert?«
»Es war Mord«, sagte ich.
»Das dachte ich mir. Wenn die Gendarmen mitspielen. Aber mitten im Wald?« Für Ludwig Metzger war der Wald ein Ort der Geborgenheit. »Weiß man schon, wer es war?«
»Ich glaube nicht. Deshalb sollten Sie sich auch bei der Polizei melden. Ich gebe Ihnen die Nummer von dem ermittelnden Kommissar.«
Der Waldschrat schaute wieder aufs Wasser. »Er hat mich ein bisschen an mich erinnert. Der junge Mann, der hat viel wissen wollen. Gut zugehört hat er. Nicht schnell, schnell, husch, husch. Der hat sich wirklich interessiert. Und er hat mich viel gefragt, wie das früher so war. Der hat ja eine ganz andere Kindheit gehabt als ich. Bei mir, da hat es nichts gegeben, gar nichts, nicht mal einen Ball. Aber wir haben was anderes gehabt.«
»Und das wäre?«
Die grauen Augen des Waldschrats leuchteten auf. »Freiheit. Und weil wir kein Spielzeug gehabt haben, sind wir draußen rumgestreunt und haben geschaut, was da so ist. Moose haben mich fasziniert. Die sind wie Bonsais. Aber die habe ich damals ja noch gar nicht gekannt. Vielleicht haben Bonsaizüchter auch ins Moos geschaut als Kinder. Da war mal ein Vogel, der hat sich ständig ins Wasser gestürzt. Den Tümpelstürzer habe ich ihn genannt. Viel später habe ich gelesen, dass das ein Eisvogel war. Für mich ist er ein Tümpelstürzer geblieben. Wir haben seinerzeit kein Bestimmungsbuch
gehabt. Die Stimmen habe ich alle gekannt und Fantasienamen vergeben. Ich habe gar nichts gehabt. Nicht mal ein Fernglas. Heute laufen ja schon die kleinen Jungs mit teuersten Ferngläsern herum.«
Unwillkürlich beugte ich mich vor. »Ach ja?«
»Erst kürzlich hab ich so einen Knirps gesehen mit dem gleichen Zeiss, wie ich eins hab. Die kriegen es vorne und hinten reingesteckt. Ich habe seinerzeit monatelang gespart für mein erstes Fernglas, Kegel aufgestellt, Nachhilfeunterricht gegeben und Zeitungen ausgetragen. Siebzig Mark hat es gekostet. Es war von Quelle.«
»Haben Sie den Buben in der Gegend von Wampertskirchen gesehen?«
»Das kann schon sein … Doch, ja. Da war es. Ein semmelblonder. «
»Und was haben Sie mit ihm geredet?«
»Ich hab nicht geredet. Ich hab ihn beobachtet. Durchs Fernglas.«
»Das sollten Sie dem Kommissar sagen.«
»Wieso denn das?«
»Weil der Junge wahrscheinlich das Fernglas von Klaus Hase gefunden hat und es wichtig sein könnte, wann Sie ihn gesehen haben.«
Der Waldschrat überkreuzte die Arme vor der Brust. »Ach, ich glaub, ich täusche mich.«
»Ich hab’s Ihnen jedenfalls gesagt, dass das wichtig sein könnte.«
»Und wie stehen Sie zu ihm, was ist Ihr Motiv, mich das alles zu fragen?«
Ich schaute auf das Wasser. Felix Tixel , dachte ich. »Ich
hasse Ungerechtigkeit«, sagte ich das Viertbeste, was mir in den Sinn kam.
»Sehen Sie!«, rief der Waldschrat triumphierend.
»Was sehe ich?«
»Sie hätten gut zusammengepasst.«
»Ich?«
»Ja ja. Der war wie sie. Gegen Ungerechtigkeit und ein ganz eigener Vogel.«
»Ich und eigen?«, wiederholte ich. »Wie kommen Sie denn auf so eine Idee?«
»Sie hätten leicht die Frau aus dem Falknerkurs sein können, von der er mir erzählt hat. Sind Sie’s vielleicht doch? Können Sie Eintagesküken
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