Alle Vögel fliegen hoch
kommen. Doch als ich kurz vor eins am Gymnasium in Starnberg anlangte, waren die Straßen noch schülerfrei. Es gab kaum Parkplätze, und die waren besetzt. Ich fuhr einen kleinen Hügel hinauf, passierte Feuerwehr und Grundschule und hielt vor einem Ferrari. Sicher ein Zufall. Felix Tixel hatte recht: In Starnberg wohnten ganz normale Menschen. Viel mehr Durchschnittsverdiener als Millionäre. Franza Fischer war jetzt auch wieder normal. Mit dem Aufspüren des Waldschrats hatte ich den Fall Klaus Hase zu den Akten gelegt. Ich war endlich zurück in meinem Leben mit meinen üblichen Problemchen und Nöten. Mal ein kleiner Muskelfaserriss, mal das Falsche im Kühlschrank, mal Stress mit einer zickigen Schülerin. Alles im grünen Bereich. Bis auf meine Wohnsituation. Um die würde ich mich nun kümmern.
Mein Handy klingelte. Seit einigen Tagen bekam ich davon Herzklopfen. Auch das würde vergehen.
»Weißt du«, sagte ich zu Andrea, »ich will diesen Felix gar nicht mehr sehen, weil ich erstens nichts mit der Polizei und zweitens nichts mit Vätern zu tun haben möchte.«
»Na dann passt ja alles!«, erwiderte Andrea.
»Ja«, log ich.
Die Glastüren am Gymnasium Starnberg öffneten sich und zuerst vereinzelt, dann in Grüppchen erschienen Schülerinnen und Schüler. Sonnenbrillen über den Augen, Handys am Ohr und, kaum im Freien, eine Fluppe im Mund. Drei Sinne schon mal dicht. Ein McDonalds befand sich in Sichtweite am Autobahnzubringer. Ich lehnte mich an das Mäuerchen vor der Schule und ließ Flipper an einem kleinen Grünstreifen mit Parkbank schnuppern. Ich kam mir komisch vor, ohne Kind vor einer Schule. Noch dazu in unmittelbarer Nachbarschaft der Polizei. Drei weitere Frauen tauchten auf. Sie machten einen befugten Eindruck. Neugierig studierte ich ihre Körperhaltung, um herauszufinden, woher das rührte.
Zwei sehr dünne Mädchen mit langen Beinen, wie Fohlen, gingen untergehakt an mir vorbei. So hatte ich auch mal ausgesehen, enge Jeans und Stöckchen-Arme. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Dünnste im ganzen Land. Die Erinnerung an meine Freundin Lara machte mich traurig. Flippers kalte Schnauze stieß an meine Hand.
»Ja, jetzt ist jetzt«, bedankte ich mich.
Endlich erschienen die ersten Zwergerl. Im Gegensatz zu den Großen schleppten sie riesige Rucksäcke, manche ragten über ihre Köpfe hinweg. Trauben von Fünftklässlern strömten aus dem Gymnasium, manche hoch aufgeschossen, kräftig, andere klein und zart, viel zu schwach für diese Survivalausrüstung.
Keine Spur von Sarah.… Ob ich ein Kind ansprechen sollte … Das Schild Polizei saß mir im Nacken. Ich ärgerte mich über diese Verdächtigung meiner selbst und fragte ein paar
Mädchen. »Kennt ihr eine Sarah, die einen Opa hat? Sie hat auch ein Pferd. Es heißt Bella.«
»Hallo Sie?«
Ich fuhr herum.
»Wieso belästigen Sie diese Kinder?«, fragte mich eine Frau, nein: Sie schoss mich an.
»Danke«, lächelte ich, wie ich hoffte entwaffnend. »Ich bin froh, dass Sie mich das fragen, weil es mir total unangenehm ist. Ich wollte nur eine Auskunft. Eigentlich ist ja nichts dabei, aber heutzutage, da denkt jeder gleich so was, aber ich suche bloß den Opa von der Sarah, ich kenne ihren Nachnamen nicht, und der Opa heißt mit Vornamen Rudi.«
»Was wollen Sie von dem Mädel?«
»Gar nichts. Mit ihrem Opa will ich reden.«
»Wie sieht er denn aus?«
»Um die siebzig. Das Pferd von der Sarah, es steht in Wampertskirchen, heißt Bella.«
»Ach, der Tauben-Rudi! Ja, den kenne ich. Die Sarah geht in die Parallelklasse von meiner Emilia… Die haben sogar mal einen Ausflug gemacht in Biologie auf den Riedhof.«
»Das ist ja wunderbar!«, rief ich begeistert, und meine Freude steckte die Frau an, die nun freundlich heraussprudelte. »Der wohnt nicht in Starnberg. Sie müssen Richtung Münsing und dann links weg. Ich schreib Ihnen das auf. Das ist ein ganz ein netter Mann. Sehr kinderlieb – und«, sie lachte, »vogellieb. Seine Viecher gehen ihm über alles. Die fliegen sogar bei Wettrennen, das ist wirklich interessant, wussten Sie, dass so eine Taube am Tag über achthundert Kilometer zurücklegen kann oder waren es über tausend?«,
sie zuckte mit den Schultern. »Die fliegen jedenfalls wahnsinnig weit.«
»Schön, wenn man so ein Hobby hat«, sagte ich irgendwas, denn ich war wie nach einer opulenten Mahlzeit schwer damit beschäftigt, diese Information zu verdauen. Taubenvögel, nicht taube Menschen. Frau Widmann
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