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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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den See schaufelte. Ich erkannte die Kirche von Schondorf. Ein paar Segelboote trieben träge auf dem Wasser.
    »Und warum sind Sie jetzt da?«, fragte der Waldschrat.
    »Ich heiße Franza Fischer«, sagte ich. »Ich habe den Klaus Hase gefunden. Tot. Im Wald.«
    Ludwig Metzger ließ die Feder, die er in der Hand hielt, auf den Tisch segeln und starrte mich an. Seine grauen Augen schwammen in Tränen, doch keine einzige schwappte über den Rand. Er schaute aufs Wasser, und als er endlich sprach, klang seine Stimme rau. »Sie sind spazieren gegangen. Ihr Hund hat ihn gefunden?«
    Ich nickte.
    »Ja, so was passiert, wenn man einen Hund hat. Und jetzt sind Sie da, weil Sie wissen möchten, was das für einer war, weil Sie doch nicht seine Freundin sind, wobei das gar keine Rolle spielen würde, weil man oft gerade die nächsten Menschen nicht kennt. Manchmal ist das angebliche Kennen eines Menschen sogar ein Indiz dafür, dass man keine Ahnung hat, wer er ist, und weil Sie glauben, dass ich Ihnen
das sagen kann, was er für einer war, womit Sie gar nicht so falsch liegen, weil ich ihn ja nicht gekannt habe, sind Sie also da«, schloss er seine Schleife.
    Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass der alte Mann ins Schwarze getroffen hatte. Ja. Genauso war es. Er wunderte sich nicht darüber. »Es ist auch wegen der Polizei«, fügte ich hinzu. »Aber bestimmt hat die schon mit Ihnen gesprochen?«
    »Mit mir hat niemand geredet. Ich hab das nicht gewusst. Und wenn Sie mir nur den Namen – wie war der noch mal …«
    »Klaus Hase.«
    »Also wenn Sie mir nur den gesagt hätten, hätte da bei mir gar nichts geklingelt. Ich merk mir Gesichter, Augen. Nein, die Polizei war nicht bei mir, aber ich war auch ein paar Tage im Bayerischen Wald, wann ist das denn passiert?«
    »Vor bald zwei Wochen habe ich ihn gefunden, passiert ist es aber schon vorher, er war schon eine Weile tot.«
    »So was kann einem lang nachgehen.«
    Ich nickte.
    »Mir geht es immer so, wenn ich einen verletzten Vogel sehe. Gestern zum Beispiel. Da haben sie mir einen Mäusebussard gebracht. Schrecklich zugerichtet. Die Bauern glauben, der würde Hühner schlagen. Das kann der aber gar nicht, seine Füße sind viel zu klein. Die Bauern sehen ihn auf Beute hocken und ziehen ihre Schlüsse. Sie kapieren nicht, dass er ein Aasfresser ist, wie der Rote Milan. Sie lassen sich auch nicht dadurch abhalten, dass diese Vögel geschützt sind. Der Habicht, der Wanderfalke, der Seeadler, der Rote Milan, nein, das ist denen egal. In ihren Fallen werden die Beine gequetscht oder abgeschlagen, vom Gefieder
will ich gar nicht reden, ein Vogel muss doch fliegen können, fliegen! Dazu ist er doch auf der Welt, oder? Und wenn der Vogel diese Tortur wider Erwarten übersteht, dann verhungert er, wie soll er denn was jagen ohne Füße oder nur mit einem? Erst letzte Woche habe ich im Bayerischen Wald einen Habicht baumeln sehen vor einer Scheune. Ich habe auch schon gekreuzigte Krähen gesehen und geköpfte Bussarde. Bauern machen das gerne. Zur Abschreckung. Wegen der Hühner. Früher haben sie die Vögel gleich aus ihren Nestern rausgeschossen. Oder ihnen für den Charivari die Füße abgehackt, die Krallen abgezwickt. Die Vögel sind jämmerlich verhungert. An Lichtmess habe ich einen einschläfern lassen müssen, der hat noch gelebt mit beiderseits durchschlagenen Läufen, die Füße hingen bloß noch an den Sehnen.«
    »Das ist ja schrecklich, das wusste ich nicht!«, rief ich ehrlich betroffen.
    »Ja, wer weiß das schon. Tellereisen sind seit 1991 in der gesamten EU verboten. Aber schön ist es allemal, wenn die Vögel am Himmel ziehen, gell, schön ist das schon.«
    »Ja«, sagte ich schnell. Der Ton von Professor Ludwig Metzger hörte sich bedrohlich an.
    »Und obwohl die Vögel geschützt sind, werden ständig Sondergenehmigungen ausgestellt. Da gibt es Waidmänner, die vertreten die Auffassung: Alles, was einen krummen Schnabel hat, gehört weg, und solche Verbrecher hocken auch heute noch in der Unteren Jagdbehörde. Geld bräuchte man. Viel, viel Geld«, sinnierte der Waldschrat. »Denn die anderen, die haben Geld. Nur so kann man denen beikommen. Neulich habe ich von einem Fall gehört, wo ein Tellereisen
an einem Wanderweg ausgelegt war – jetzt raten Sie mal, wer das gefunden hat?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Kinder! Und nun stellen Sie sich mal vor, die wären da reingetreten.« Der Waldschrat riss die Arme weit auseinander und klatschte laut in die

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