Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
religiösen Berufung der Kirche Christi und dem Staat, der aus ihr hervorging, wird besonders deutlich, wenn es um den Krieg geht, ein Thema, für welches das Pontifikat von Julius II. wie kein anderes Anlass zur Reflexion bot. Hier setzt Erasmus’ Kritik an, und sie kommt in ihrer Radikalität zu Bildern von großer Eindringlichkeit. «Was hat die Mitra mit dem Helm zu tun, was das bischöfliche Pallium mit dem Panzer des Mars? Was die Segnungen mit den Kanonen? Was hat der mildeste Hirte zwischen bewaffneten Briganten zu suchen? Was hat das Priestertum mit dem Krieg zu tun? Warum hat derjenige, der die Schlüssel zum Himmelreich besitzt, es nötig, Bollwerke mit Katapulten zu zerstören? Wie kann einer, der das Volk mit einem Friedensgruß grüßt, Kriege führen?» Die Antwort auf diese dramatischen Fragen ist erbarmungslos: «Wenn du dem Papst einen weltlichen Staat gibst, nötigst du ihn zugleich, Geld anzuhäufen, du gibst ihm eine Leibwache wie die, welche den Tyrannen umgibt, Milizen voller Eisen, Spione, Pferde, Maultiere, den Krieg, die Gemetzel, die Triumphe, die Aufstände, die Schlachten: In einem Wort, alle Instrumente und alle Apparate für die Verwaltung eines Staates.» Es folgt eine minuziöse Aufzählung der Aufgaben eines Staatsoberhaupts, doch hier wird der Bezug auf die konkrete historische Situation, die das Pontifikat von Julius II. vor Augen geführt hatte, schwächer. An seine Stelle tritt eine höhere Vision, die von der konkreten Lage abstrahiert und die Zukunft der päpstlichen Institution ins Auge fasst. «Den Papst und die Kardinäle vom Gebet abzuhalten, das sie mit Gott verbindet, von der Kontemplation, die sie unter die Engel versetzt, von den blumigen Wiesen der Heiligen Schrift, wo Glückliche wandeln, von dem apostolischen Amt der Evangelisierung, die sie Christus ähnlich macht, um sie in solche Sümpfe zu tauchen: Das soll Deiner Meinung nach das Verständnis der päpstlichen und der Kardinalswürde sein?» Die grundsätzliche Frage, die Erasmus aufgrund seiner religiösen Überzeugungen aufwarf, wird aber der historischen Dimension dieses Papstes nicht ganz gerecht. Was die konkrete, geschichtliche Wirklichkeit betrifft, so bleibt das Urteil Machiavellis gültig, der das Wirken Julius’ II. unter rein politischen Gesichtspunkten betrachtete. Im Fürsten beschreibt er Julius II. als den Erben Papst Alexanders VI., der eine Politik der Restauration der politischen Macht im Kirchenstaat verfolgte, wobei Julius II. jedoch nicht wie der Borgia-Papst und die auf ihn selbst folgenden Päpste hauptsächlich die Versorgung seiner Verwandten im Auge gehabt habe, sondern einzig die Wiederherstellung der Macht des Staats und seines Oberhaupts. «Er unternahm es, Bologna zu erobern, die Macht von Venedig zu brechen und die Franzosen aus Italien zu vertreiben; und dies gelang ihm und gereicht ihm um so mehr zur Ehre, als er alles nur zum Vorteil der Kirche und nichts zum eigenen unternahm.» Ein Ehrentitel Julius’ II. war in Machiavellis Augen auch seine kluge Politik gegenüber den Orsini und den Colonna, den zwei größten Adelsgeschlechtern Roms, die er zu zügeln wusste, indem er es vermied, Mitglieder dieser Familien zu Kardinälen zu ernennen. Ihre Mitgliedschaft im Kardinalskollegium war immer schon für sie ein Mittel gewesen, um die Macht des Papstes zu beschneiden und seine Politik in ihrem Sinn zu beeinflussen.
Machiavelli kam auf diese Weise zu einem historischen Urteil über das Pontifikat Julius’ II., ohne die von Erasmus aufgeworfene Frage überhaupt zu berühren. Und dies nicht von ungefähr, denn das Problem der Doppelnatur der Kirche als zugleich spiritueller und weltlicher Macht lag jenseits der historischen Kontingenz. Für Rom bedeutete diese Situation jedoch, dass es unter einer doppelten Regierung stand, einer weltlichen und einer geistlichen, mit gravierenden Folgen für das Leben der Stadt. Dieser Kontrast sollte erst in neuerer Zeit eine Lösung finden, als nämlich mit der Einigung Italiens die Päpste den Kirchenstaat verloren und Rom 1870 die Hauptstadt des neuen Königreichs wurde.
2.
Francisco Delicado: Juden und Huren in Rom
Über den spanischen Autor Francisco Delicado ist nur sehr wenig bekannt, und dies Wenige lässt sich fast ausschließlich seinen Werken entnehmen. Er wurde gegen 1480 in Martos, einem andalusischen Städtchen in der Provinz Cordoba, geboren. Während des Pontifikats von Julius II. (1503–1513) kam er nach Rom, aber
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