Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
starken nördlichen Akzent –, umso besser aber beherrschte er Latein und Griechisch. 1466 in Rotterdam als Sohn eines Geistlichen, der im Konkubinat lebte, geboren, war er auf den Namen Erasmus getauft worden und hatte ebenfalls früh die geistliche Laufbahn eingeschlagen. In Rom ging ihm der Ruf voraus, ein großer Humanist zu sein. Dieser gründete sich auf seine Sammlung antiker Sprichwörter mit dem Titel Adagia, die er kurz vorher beim venezianischen Verleger Aldo Manuzio, dem Fürsten aller Drucker, veröffentlicht hatte. Erasmus wurde deshalb in Rom von den prominentesten Humanisten der Stadt herzlich willkommen geheißen und gefeiert. Tommaso Inghirami, der Präfekt der Vatikanischen Bibliothek, stellte ihm sofort deren reichen Bestand an alten Handschriften zur Verfügung. Die Nachricht von der Ankunft des großen Gelehrten aus dem Norden erreichte auch die römische Kurie, so dass verschiedene Kardinäle seine Bekanntschaft machen und ihn ehren wollten; darunter vor allem Kardinal Raffaele Riario, ein Verwandter des herrschenden Papstes Julius II., aber auch Kardinal Giovanni de’ Medici, der künftige Papst Leo X., sowie der venezianische Kardinal Domenico Grimani.
Der durchaus herzliche Empfang genügte indessen nicht, um Erasmus den Aufenthalt in Rom angenehm zu machen, und dies aus verschiedenen Gründen. Die ganze Stadt war eine einzige Baustelle. Papst Julius II. hatte umfassende Bauarbeiten im Vatikan begonnen, angefangen vom Neubau von Sankt Peter, mit dem er den Architekten Donato Bramante beauftragt hatte. Dazu kamen der Umbau der vatikanischen Paläste und die Neugestaltung des Belvederehofs mit einem höherliegenden, neuen Garten, wo die antiken Statuen aufgestellt werden sollten, darunter der Laokoon , der 1506 ausgegraben worden war. Die architektonischen Eingriffe betrafen darüber hinaus die Kirchen SS. Apostoli, S. Pietro in Montorio und S. Maria del Popolo. Der Bau eines großen Palastes, der die Gerichte aufnehmen sollte, wurde begonnen, aber nicht zu Ende geführt. Große städtebauliche Projekte wie die neue Via Giulia waren ebenfalls dabei, verwirklicht zu werden. Nicht minder ehrgeizig waren die Ausschmückungsarbeiten, die Julius II. im Vatikan veranlasste, darunter die Freskierung des Deckengewölbes der Sixtinischen Kapelle, mit der er Michelangelo beauftragte, und die Ausmalung der neuen päpstlichen Gemächer im Vatikan durch Raffael.
Doch nicht nur der betäubende Baulärm störte Erasmus, noch mehr irritierte ihn die Kriegsstimmung, die in Rom herrschte. Am 23. März 1509 schloss Julius II. mit König Ludwig XII. von Frankreich, Kaiser Maximilian I. und dem König von Aragon, Ferdinand dem Katholischen, ein Bündnis, die Liga von Cambrai. Sein Ziel war, die von Venedig besetzten Städte und Territorien in der Romagna, die zum Kirchenstaat gehörten, zurückzugewinnen. Am 26. April belegte Julius II. Venedig deshalb mit dem Bann. Im Zusammenhang mit diesen Kriegsvorbereitungen bat Kardinal Riario Erasmus um ein Gutachten über die päpstlichen Ansprüche gegenüber Venedig. Ein solches Gutachten ist nicht erhalten, und man muss sich auch fragen, was Erasmus wohl hätte schreiben können, war er doch im Jahr zuvor in Venedig sehr herzlich aufgenommen worden. Ihm war jeder Krieg zuwider, und dies umso mehr, wenn ihn das Oberhaupt der Kirche führte.
Leider ist kein Brief aus Rom von Erasmus erhalten, doch lässt sich Briefen aus späterer Zeit entnehmen, dass er hier zu der Erkenntnis kam, wie heidnisch und wenig christlich die Stadt geworden war. Beispielhaft dafür schien ihm eine Predigt, die er am Gründonnerstag in der Sixtinischen Kapelle hörte. Der Prediger begann mit einem Lobpreis auf den Papst, der der Zeremonie beiwohnte, und wandte sich dann nach ein paar kurzen Bemerkungen über den Kreuzestod Christi ausführlich dem Opfertod des Sokrates und anderer Persönlichkeiten zu, um am Ende den Triumph des Kreuzes mit dem Triumph Scipios und Cäsars zu vergleichen. Diese Predigt muss Erasmus an den triumphalen Einzug Julius’ II. in das zurückeroberte Bologna erinnert haben. Er war 1506 dabei gewesen, als der Papst in die besiegte Stadt einzog, und schrieb darüber mit flammenden Worten: «Ich habe mit meinen eigenen Augen in Bologna gesehen, wie Julius, der römische Pontifex, Zweiter dieses Namens, herrliche Triumphe feierte, die sich ganz und gar mit den Triumphen von Pompeius und Cäsar vergleichen lassen. Aber was haben die Triumphe eines Pompeius
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