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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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»He, Sie da, Mann aus dem katholischen Bayern, Sie müßten dat doch
wissen!« Und er tippte dem Hopfenbauer auf die Schulter. Der drehte sich um,
wobei er seinen Kopf wie einen Maßkrug schwenkte, und sagte: »Die
Scherusalämmer, das ist der Orden, wo ein Schaf wie du große
Aufstiegsmöglichkeiten hat!« und drehte sich wieder zurück.
    Die Gemeinschaftsmesse zelebrierte Hochwürden
Harald Schlüter. Anschließend besichtigte man die kostbaren Reliquien der Kirche,
die, wie es heißt, in der ganzen Welt ihresgleichen nicht haben. Bei dem Wort
»Reliquien« flüchtete sich Schwester Annaberta in den Schoß der Pfarrjugend, um
sich von der aufklärerischen Eva nicht nochmals um die erforderliche Rührung
bringen zu lassen. Doch das half nur wenig. Im saftigen Apfel ihres Glaubens
saß nun schon ein Wurm, und sie mußte auf das Messerchen des Beichtvaters
warten, um ihn herauszuschneiden.
    Am Vormittag wollte man sich auf eine
Sehenswürdigkeit beschränken, die freilich Hunderte von Sehenswürdigkeiten in
sich barg: das vatikanische Museum. Beim Frühstück erkundigten sich die weniger
Gebildeten bei der Schulrätin und ähnlichen Autoritäten, welche Schätze sie
jetzt zu sehen bekämen. Klangvolle Namen wie Raffael, Fra Angelico, Belvedere,
Sistina, Laokoon mischten sich ins Geklapper der Aluminiumtassen. Selbst
Annaberta wurde erhaben zumute. Wie es halt ist: kaum hat eine einfache Seele
vom Süßmost der Bildung genippt, wird sie schon berauscht davon.
    Vor dem Portal des Museums stauten sich die
Menschenmassen. Vertreter aller Klimazonen: Arbeiterjugend aus Belgien, eine
steirische Blaskapelle, der Gesangverein Gustav Adolf aus Stockholm,
weißgekleidete Japanerinnen, schwarzäugige Marinesoldaten, Vorkämpfer für die
Männeremanzipation aus Denver/Kolorado usw. schoben, stießen, pufften,
jammerten, fluchten, stöhnten sich durch den engen Eingang. Schwester Annaberta
schwamm taktisch klug im Kielwasser der Baronin und schleuste sich auf diese
Weise mit heilen Knochen durch die Sperre. Doch seit Hesiod haben die Götter
vor den Erfolg den Schweiß gesetzt, und so mußte erst noch eine lange
Wendeltreppe bestiegen werden, ehe sich die Schatzkammern der Schönheit
öffneten.
    »Beisammenbleiben! Alles beisammenbleiben!« rief
der Monsignore aus Leibeskräften. Schwester Annaberta hatte auch gar nichts
anderes im Sinn. Doch da stand plötzlich, wie aus dem Baum geschnellt, die alte
Schlange, Eva Süß mit Namen, neben ihr und flüsterte verführerisch: »Kommen Sie
mit mir, liebe Schwester! Entweichen wir dem Trubel! Herr Birnmoser verriet
mir, wie wir gehen müssen, wenn wir die Sistina ungestört betrachten wollen.
Mein Bruder kommt auch mit. Los!« Und ehe die Schwester etwas einwenden konnte,
hatte Eva sie am Ärmel gepackt und in den Landkartengang gezogen, wo der
Monsignore sie nicht sehen konnte. Primiziant Alois folgte gehorsam.
    Verblüfft unterbrachen die Museumswächter ihre
antiklerikalen Witze, als unsre drei Einzelgänger atemlos wie Marathonläufer in
der Sixtinischen Kapelle erschienen. »Hier haben wir jetzt eine halbe Stunde
Zeit, bis der Touristenhaufen einfällt«, sagte Eva. »Herr Birnmoser — oh, er
ist ein Kenner! — riet mir, zuerst die Gemälde an den Seitenwänden zu
betrachten und nachher das Deckenbild des Michelangelo.« Schwester Annaberta
richtete sich danach, studierte gewissenhaft die Gemälde der älteren Meister
und fand eines schöner als das andere. Als ihr Eva sagte: »Und nun blicken Sie
in die Höhe!« und Annaberta in die Höhe blickte, mußte sie vor Entzücken in die
Hände klatschen. Die Bilder kannte sie! Von Primizbildchen, Postkarten her
waren sie ihr wohlvertraut. Nur waren sie hier noch tausendmal schöner. Vor
allem jenes, wo Gott Vater Adam mit dem Finger berührt und Adam zum Leben
erwacht! Am liebsten hätte sich die Schwester auf dem Boden ausgestreckt, um
das Antlitz des Schöpfers, die paradiesische Schönheit des ersten
Menschenpaares, den abgründigen Ernst der Propheten und die hinreißenden
Gebärden der Sibyllen nach Herzenslust zu betrachten — doch das verboten die
Wächter. »Das Jüngste Gericht an der Altarwand sehen wir uns lieber nicht gar
zu genau an. Einmal ist es von Übermalern verdorben, und zum andern zerbricht
es die Harmonie des Raumes«, sagte Fräulein Süß. Was für ein gescheites Mädchen
sie doch war! »Die Kinder der Welt sind halt immer klüger als die Kinder des
Lichtes, nicht wahr, Hochwürden?« meinte Annaberta zum

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