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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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auf keine
erklärenden Worte, sie strapazierte auch ihre Augen nicht mehr. Stets stand sie
ein wenig abseits und murmelte ein Ave ums andere für die angeschlagenen Grazien,
die stupsnäsigen Philosophen, für die Kaiser und ihre Günstlinge, deren Leib
jeder Matrose begaffen durfte, auf deren arme Seelen jedoch wahrscheinlich
sogar der Monsignore vergaß.
     
    *  *  *
     
    Endlich traten sie auf eine freie Terrasse hinaus
und hofften schon, das unerläßliche Bildungspensum für heute erledigt zu haben,
da wurden sie noch einmal in einen großen rötlichen Bau, die »PINACOTECA«,
hineingetrieben. Diese letzte Hürde vor dem sehnlich erwarteten Mittagessen
hätte die gemischte Pfarrjugend am liebsten im Laufschritt genommen. Doch das
ging nicht an. Erstens war man in einer Stadt, deren hohes Alter das
Arbeitstempo ihrer Bewohner seit je in bescheidenen Grenzen hält; und zweitens
gehörte man zum Volk der Dichter und Denker, ein Titel, der zwar längst nicht
mehr stimmt, um so mehr jedoch verpflichtet.
    Und so drehten denn unsre lieben Pilger im
Quattrocento und Cinquecento die Köpfe wie ein Wendehals, entzückten sich
vorübergehend an den Engelsköpfen des Melozzo da Forli, kämpften sich zum
Raffaelsaal durch, verweilten pflichtschuldigst vor den berühmten Teppichen,
suchten nach würdigen Adjektiven und strebten dann am Seicento und Settecento
vorbei der frischen Luft zu. Jetzt durften sie endlich einen Blick in die
vatikanischen Gärten werfen und sich nach soviel Marmor und Ölfarbe am satten
Grün ergötzen.
    Jungfer Emerenz Obermair seufzte: »Ach, wenn der
Heilige Vater doch jetzt spazieren ginge, nur ein paar Schritte wenigstens!«
    »Da steht aber noch kein Ablaß drauf, Jungfer!«
fiel ihr der Mesner, der Betschwestern genauso haßte wie Gerichtsvollzieher,
barsch ins Wort. Emerenz erwiderte nichts, zog nur den Mund hoch, daß sich die
Haare auf der Oberlippe im Luftstrom der Nase kräuselten, und blickte ihn so
verächtlich an, als wolle sie sagen: »Was verstehst denn du von der heiligen
Theologie?«
    Als der Monsignore seine Schäflein beisammen
hatte, fragte er, was ihnen am besten gefallen habe. Der Hopfenbauer Simmerl
entschied sich für den Pinienzapfen, Baron von Neuhaus für den Porphyrsarkophag
der Helena. Einige rheinische Jünglinge schwankten zwischen der indirekten
Beleuchtung in der Kapelle Nikolaus’ V. und dem eidechsentötenden Apoll. Die
Mädchen strichen sich über die Lippen, als hätten sie Eis gelutscht, und
hauchten »Raffael«. Der Primiziant, selbst ausgezehrt wie der Hieronymus des
Leonardo, erklärte, ihm hätte am meisten imponiert, welch respektable
Dickbäuche die Barockmaler auf die Leinwand gezaubert hätten, wo es doch im
siebzehnten Jahrhundert noch keine Gewerkschaftsfunktionäre gab, die ihnen hätten
Modell stehen können.
    Bis zum Pranzone war noch eine Stunde Zeit. Was
tun? Fräulein Eva schlug vor, nach den Farben der Maler die Farben des
Schöpfers zu studieren, sich in die Sonne zu setzen und den römischen Himmel zu
genießen, fand aber damit bei Leuten, die eine Reise für Schwerarbeit halten,
nur wenig Anklang. Um einer endlosen demokratischen Debatte vorzubeugen,
beschwor man einstimmig das Gespenst des Klerikalismus und überließ den
Geistlichen die Entscheidung. Monsignore Schwiefele und Kaplan Schlüter
besprachen sich kurz und entschieden sich für die Kapuzinergruft in der Viale
Vittorio Veneto, wahrscheinlich um dem sinnenbetörenden Aufmarsch heidnischer
Schönheit ein kräftiges barockes Memento mori entgegenzusetzen.
    Bei dem Wort Kapuzinergruft rannen der Baronin und
dem Baron verstohlen Tränen über die Wangen (’s war halt eine harmonische
Ehe!), denn beide dachten an die Wiener Kapuzinergruft, die letzte Ruhestätte
des verehrten Kaiserhauses. Diesmal sollten sie freilich keine Erzherzoge aus
Zinn, sondern Franziskussöhne aus Totengebein zu sehen bekommen. Ob es nun
viertausend oder gar vierzigtausend Kapuziner waren, deren Schädel nicht
friedlich in Staub zerfallen durften, sondern Schulkindern aus der Campagna und
irischen Parlamentariern einen frommen Schauer einjagen sollten, verstand
Annaberta nicht genau. Die Zahl war auch gar nicht wichtig. Beklommen hielt sie
den Atem an. Ihr war, als starrten die leeren Augenhöhlen geradewegs auf sie,
als schwängen die Skelette — ob das früher Guardiane waren? — die Zuchtruten
nur gegen sie. Als sie vernahm, daß man die Knochen auch als Stuck in der
Kapelle verwendet hatte, empfand sie

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