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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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von einer Chorseite zur anderen
flatterte und die Söhne des heiligen Benedikt mit beschwörender Geste ermahnte, più alto höher zu singen. Unsere Pilger, durch den Regenguß wie
neugeboren, sahen dem hartnäckigen Wettkampf zwischen dem intonierenden Kantor
und dem detonierenden Mönchskörper belustigt zu. Endlich glaubte der Kantor
gesiegt zu haben (oder gab er auf? einerlei!) und erklärte die Probe für
beendet. Die Mönche, über hundert an der Zahl, erhoben sich, verneigten sich
tief und verließen in so feierlich-ernster Prozession das Presbyterium, als
hätten sie kein Alleluja, sondern das
    De profundis geübt. Einige jüngere freilich
setzten gar nicht die Miene auf, die man einem mehr als tausendjährigen Orden
vorschreiben möchte, und grüßten freundlich zur Pilgerschar herüber. Sie taten
Annaberta besonders leid, und sie zerbrach sich den Kopf, ob man auf Erden
wirklich soviel üben müsse, um beim himmlischen Alleluja nicht danebenzusingen!

    Inzwischen waren die Eimer übergelaufen. Der Regen
ließ nach. Also marsch in die Busse und weiter! »Wer hat da was von Hunger
gesagt? Wir sind Pilger, meine Freunde! Was haben die römischen Märtyrer
ausgehalten — und ihr wollt streiken, weil der Magen ein bißchen knurrt? Wo uns
doch jetzt ein Genuß allerersten Ranges bevorsteht: das Kolosseum!« Na schön!
Den Aventin hinunter, an einem seltsamen Obelisk vorbei, heraus aus den Bussen,
hinein ins Kolosseum! Die Mädchen bedauern, es nicht bei Mondschein zu sehen.
Die Jungen erklimmen die oberste Galerie und verknipsen Filme, meterweise.
Inzwischen beten der Monsignore und die älteren Herrschaften drei Vaterunser.
Dann verkündet Adam Birnmoser die nächsten Punkte des Pensums: Forum, Palatin,
Kapitol.
    »Ein bißchen Heidentum nach soviel Kirchen
schmeckt wie Mokka nach einem Primizmahl«, äußerte Eva zu ihrem Bruder und ging
mit Eifer daran, klassische Luft einzuatmen und ihre hohen Absätze auf
historischem Pflaster zu wetzen. Dort erdolchten die Verschwörer den großen
Julius! Hier schmiedete Marcus Tullius Cicero sein goldenes Latein! Dort
wohnten die vestalischen Jungfrauen, die das heilige Feuer hüten mußten!
     

    »Die bestialischen Jungfrauen?« vergewisserte sich
der Mesner. »Das wär das richtige Pensionat für meine Alte gewesen!«
    Dort das Grab des Romulus, hier die Säule des
Phokas, da der Tempel des Äskulap, der Bogen des Titus — Namen und Zahlen
flogen den erschöpften Pilgern wie nasse Putzlappen um die Ohren, was Wunder,
wenn sie, auf einer trümmerreichen Höhe angekommen, nicht mehr wußten, ob das
nun der Palatin, der Esquilin, der Aventin oder die Zugspitze war. Und mochte
sie Birnmoser noch so begeistert hinweisen auf den entschwundenen Glanz des Imperiums,
auf die gegenwärtige Schönheit der Kuppeln und Türme — der verarmte Baron wurde
deswegen sein leidiges Zittern in den Knien ebensowenig los wie der Hopfenbauer
seinen maßlosen Durst; Gähnwellen suchten periodisch die gemischte Pfarrjugend
heim; Primiziant Süß stöhnte in einem fort, dieser Tag sei anstrengender als
selbst die Primiz, und sogar seine sportliche Schwester war so schlapp, daß sie
Birnmosers hilfreichen Arm dankend annahm. Nicht einmal das schauerliche Loch
des Mamertinischen Kerkers vermochte die geknickten Blüten der Begeisterung
aufzurichten. Selbst der Schulrätin war die Kehle eingetrocknet, sie preßte nur
noch schwache Ahs und Ohs heraus, raffte sich jedoch noch einmal zu einer
Energieleistung auf, als sie, Ehrenvorsitzende des Tierschutzvereins, Roms
abgezehrtes Symbol, die Wölfin mit lechzender Zunge herumkreisen sah, und
schrie empört: »Das ist ein Skandal!«
     
    Ein Skandal war es auch, als den Pilgern nach der
Besichtigung zweier weiterer Kirchen endlich in der Abspeisungszentrale der
Tisch bereitet wurde und nichts als gehäufte Teller Spaghetti erschienen. Da
der Wein erst eine halbe Stunde später geliefert wurde, mußten sich unsere vor
Hitze und Bewunderung ausgedörrten Landsleute halt bequemen, die Spaghetti mit
letzter Kraft in den Schlund zu stopfen.
    Frau Schulrätin rief energisch nach Senf. »Senf zu
Spaghetti?« erkundigte sich die Baronin erstaunt. »Ach, wissen Sie«, sagte Suli
mit jenem Hauch von Unschuld, der einer höheren Tochter so wohl ansteht, »meine
Mutter gibt zu allem ihren Senf dazu!«
    Schwester Annaberta hatte bei all dem Geschiebe
und Gedrücke an den Tischen die Brille mitsamt dem Appetit verloren, saß still
am Fenster und glaubte, daheim zu

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