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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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Primizianten, der gerade
vergaß, sich beim Gähnen die Hand vor den Mund zu halten.
    Als dann die schmale Tür den ersten Schwapp
verzückt hauchender Schweizer Pensionatstöchter von sich gab, nahmen unsere
drei Einzelgänger Reißaus und kämpften sich zu einer zweiten Kapelle durch: der
Kapelle Nikolaus’ V., wo der Malermönch von Fiesole die Legenden der Diakone
Stephanus und Laurentius an die Wand gezaubert hat. Keiner der drei sprach ein
Wort. Um so eindringlicher sprachen die leuchtenden Gemälde im dämmrigen Raum. >Oh,
wären nur meine Waisenkinder da!< dachte Annaberta, >diese Bilder
verstünden sie auch. Wie schön könnte ich ihnen jetzt die Geschichte vom
Erzmartyrer Stephanus erzählen!<
    Bis jetzt war Annaberta mit dem Gezeigten
einverstanden gewesen. Doch als sie nun die langen Gänge entlanglief, wo
trunkene Satyrn, angeschlagene Grazien, stupsnäsige Philosophen, glatzköpfige
Cäsaren und demolierte Götter in nacktem Marmor Spalier standen, reute sie das
Eintrittsgeld. Lieber Himmel, in welch einen Dschungel der Unschamhaftigkeit
hatte der Monsignore sie geführt. Sollte das wirklich alles dem Heiligen Vater
gehören? Kaum zu glauben. Aber vielleicht ist er darüber ebensowenig informiert
wie über jene Mißstände, auf die ihn Hochwürden Schlüter aufmerksam machen
wird.

    Fräulein Süß schien von solchen Skrupeln
unbeschwert. »Sind das nicht herrliche Gestalten, liebe Schwester? Betrachten
Sie sich nur einmal diesen Brustkorb des Antinoos, welch klassische Wölbung! Er
war der Günstling Kaiser Hadrians. Oder hier, die feinen Gliedmaßen dieses
kecken Bacchanten!«
    Brustkorb, Günstling, Bacchant — brrr, das roch
nach einer Welt, mit der Annaberta durchaus nichts zu schaffen haben wollte.
»Ja, freilich ist’s schön«, seufzte sie. »Bin aber doch froh, daß meine
Waisenkinder daheim bleiben mußten.«
    Da wandte sich der Primiziant, dessen Redeversuche
heute meistens am Gähnen gescheitert waren, zu ihr und sagte: »Kinder dürfen
nur herein, wenn kein Waschtag ist. Morgen haben diese Kaiser und Götter alle
wieder saubere Kleider an.«
    »Alois, laß den blöden Witz!« rügte ihn Eva und
wandte sich liebevoll zu Annaberta: »Ich verstehe Ihre Gefühle. Sicher
empfinden Tausende so. Aber sagen Sie ehrlich: ist der menschliche Leib, wie
ihn Gott geschaffen hat, nicht schön und edel?«
    »Ja freilich«, nickte Annaberta, »wie ihn Gott
geschaffen hat! Doch was die Menschen daraus machen, stimmt halt nicht immer
mit der Absicht des Schöpfers überein.« Fräulein Eva verstummte, und als sie
nachdenklich ein paar Schritte weitergegangen waren, bedauerte sie, daß die
Schwester ihr nicht einmal bis zur Schulter reichte; sie hätte so gerne zu ihr
aufgeblickt.
    Plötzlich stießen sie auf die Schulrätin samt
Tochter. Auch sie hatten sich also selbständig gemacht und betrachteten eben
intensiv eine Marmorgestalt, an der das fehlte, was in Preußen von einem
Soldaten bis zum Rang des Obersten gefordert wurde und auch sonst als
lebenswichtig gilt: der Kopf. Es war der Torso des Belvedere. Vor ihm stand die
Schulrätin. Sie hatte ihre bessere Brille aufgesetzt und begutachtete das
berühmte Stück von allen Seiten — fast berührte ihre spitze Nase den Marmor.
Dann trat sie zwei Schritte zurück, kreuzte die Hände über dem Bauch und
sprach, daß es jeder hören konnte: »Du mußt dein Leben ändern!«
    »Schon wieder, Mama?« fragte Sulamith.
     
    Entrüstet schnalzte die Schulrätin mit der Zunge.
»Törichtes Mädchen, spürst du denn nicht, daß ich nur zitiere, was Rainer Maria
— .«
    »Ah, der Fürst von Monaco!«
    »Törin! Rainer Maria Rilke! vor diesem Torso
empfand, und mit Recht empfand!«
    Im Belvederehof trafen unsere Ausreißer endlich
wieder auf den Monsignore, der eben seinen Zuhörern sachkundig
auseinandersetzte, was an der Laokoongruppe falsch ergänzt worden sei.
Schwester Annaberta wäre am liebsten unauffällig im Haufen untergetaucht, doch
ihre weiße Haube entging der scharfen Brille Hochwürdens nicht. Höchst ungnädig
zog er die Stirn in Falten: »Sie haben Gehorsam gelobt, teure Schwester! Das
war nun schon die zweite Eigenmächtigkeit. Bei der dritten muß ich an Ihre
Oberin berichten.«
    Folgsam wie ein geprügelter Pudel zottelte
Annaberta mit der Pilgerschar weiter. Noch einmal gelangte sie in die Kapelle
Nikolaus’ V., noch einmal in die Sistina. Dort schrie jetzt alles durcheinander
wie bei einer Bierpreisdebatte im bayerischen Landtag. Sie hörte

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