Alle Wege führen nach Rom
sein. Das Klappern der Teller und Löffel war
ihr vertraut. Die Stimmen der Esser klangen zu Hause freilich zufriedener als
hier in Rom.
»Morgen wird es weniger anstrengend als heute«,
verhieß Monsignore Schwiefele zu guter Letzt, sprach ein kurzes Dankgebet und
wünschte allerseits eine gesegnete Ruhe. Müde schlichen die Pilger in die
Zimmer und ließen sich wie Mehlsäcke auf die Betten plumpsen. Schwester
Annaberta öffnete das Fenster, so weit es ging. Angenehm kühl blies der Wind
herein, betupfte ihre Wangen wie die dankbaren Küßchen der kleinsten
Waisenkinder. Und auf einmal — wir sind doch im Lande der Wunder! — marschierten
die Tannen und Fichten des Bayerischen Waldes auf der Via Flaminia heran,
besetzten die Milvische Brücke, scharten sich um alle sieben Hügel und
verzauberten durch ihr Rauschen das ernste Rom in ein fröhliches Waisenhaus.
Papst, Kardinäle, Karabinieri — alle wurden zu rotbackigen Buben in weißen,
roten und bunten Kitteln, warfen Tiara, Mitren und Helme wie Gummibälle
jauchzend in die Luft, rutschten auf marmornen Säulen umher, spielten in den
Katakomben Versteck, zupften die Schwester am Rock und bettelten selig:
»Annaberta! Annaberta!«
V Von Marmorbüsten und Meeresküsten
oder
warum Schwester Annaberta ihre
Waisenkinder bald bei sich haben wollte und bald wieder nicht
Schlag sechs Uhr brach der weniger anstrengende
Tag an. Im Sportdreß lief der männliche Teil der Pfarrjugend von Tür zu Tür, um
die Schläfer wachzuklopfen. Während nun die Baronin ihrem Mann den krummen
Rücken mit kaltem Wasser abschrubbte, Sulamith ihrer Mutter erbost erklärte, es
sei eine »Sauerei«, in der heiligen Stadt zu solch unheiliger Zeit aus dem Bett
gejagt zu werden — (»Pfui, Tochter, wo hast du diesen parterren Ausdruck
aufgeschnappt?« stöhnte die Schulrätin auf) — , der Monsignore in Hose und Hemd
die Laudes betete und der Kaplan sich auf dem Balkon Jogaübungen hingab, saßen
der Mesner Luitpold und Schwester Annaberta bereits abmarschfertig in der
Eingangshalle.
»Gefällt es Ihnen in Rom?« wandte sich die
Schwester an den Luitpold.
»Was sonst? Hab schließlich 100 Mark dafür
gezahlt.«
»Und was sagen Sie zu unseren Reisegefährten?«
»Die eine, die Eva, war’ gar nicht zuwider. Aber
wenn man schon ins Joch gespannt ist, ach ja — « er holte seine Seufzer wie
schwerbeladene Eimer aus dunklen Zisternen nach oben — »und mit was für einem
Drachen zusammen, dann — « er seufzte abermals — »dann schaut man lieber gar
nicht hin.«
»Das wäre auch Gift für die Seele.«
»So?« Der Mesner blickte ungläubig auf. »Wissen
Sie, was Gift für die Seele ist? Wenn dich beim Aufstehen deine Alte schimpft
und du nachher in der Sakristei vom Pfarrer angefaucht wirst, weil ein bißchen
Kork im Meßwein schwimmt! Oh, wenn ich nicht so geduldig wäre —! Aber gerade
das regt meine Alte und den Pfarrer immer so auf.«
»Tragen Sie Ihr Kreuz wie jeder gute Christ«,
tröstete die Schwester.
»Was sonst?« Ergeben schlug er die Augen nieder,
dann rieb er sich plötzlich schadenfroh die Hände. »Und doch freut’s mich, daß
sich der Pfarrer übermorgen am Feiertag allein durchwursteln muß! Dem sein
Gesicht müßten Sie sehen, wenn er den Schlüssel zum Panzerschrank nicht findet,
wo er seinen Festtagskelch verwahrt! Den trag ich nämlich bei mir. Er wird natürlich
die Ministranten verdächtigen. «
»Die armen Kerle werden es büßen müssen, Sie
grausamer Mensch!«
»Ei was, grausam! Und wenn er wirklich ein paar an
die Wand wirft — die Meute wächst schneller nach als uns lieb ist«, entgegnete
Luitpold ungerührt, entfaltete ein mächtiges Taschentuch mit aufgedrucktem
Stadtpanorama und schneuzte sich mit Behagen genau ins Pantheon hinein.
Inzwischen waren auch die übrigen Pilger im Kampf
mit dem Bettzipfel Sieger geworden und erschienen einer um den andern in der Eingangshalle.
Bald war die ganze Herde Monsignore Schwiefeles manches Schaf lein schlecht
gewaschen, manches Böcklein unrasiert, vollzählig versammelt. Mit großem
Wohlgefallen, etwas Blut am Kinn und Seife hinterm Ohr blickte der Monsignore
auf die Seinen, klatschte in die Hände, daß es den verschlafenen Portier aus
seiner Loge trieb, und verkündete als Programmpunkt Nummer eins:
»Gemeinschaftsmesse in Santa Croce di Gerusalemme«.
»Die Scherusalämmer — wat is denn dat nu wieder
für een neuer Orden?« ließ sich der intelligenteste Knabe aus dem Rheinland
vernehmen.
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