Alle Wege führen nach Rom
das zwar nicht geschmacklos wie Hochwürden
Harald Schlüter, aber sonderbar genug. Schließlich handelte es sich doch um die
Knochen heiliger Männer! >Wenn wir daheim<, dachte sie sich, >darauf
angewiesen wären, mit den Gebeinen heiliger Mitschwestern zu stuckieren, dann
wäre unsre Kapelle nüchtern wie ein Wartesaal!<
Da geschah ein peinlicher Mißgriff.
Am Eingang zu den Grotten saß ein blutjunger,
leichtbeflaumter Kapuziner, zart wie Spinat im Frühling, und nahm unter
unablässigem Graziemurmeln die Almosen in Empfang. Bisher hatte er teilnahmslos
über die Pilgerschar hinweggeblickt, plötzlich aber sprang er auf, schrie »Halt!
Halt« und stürmte mit langen Schritten zur letzten Grotte, wo Emerenz Obermair
— sie fällt uns heute oft auf! — gerade daran war, ein kleines Kapuzinerschlüsselbein
in ihre riesige Devotionalientasche zu schmuggeln. »Halt, halt!« rief er noch
einmal und faßte sie so kunstgerecht am Kragen, als hätte er sein Noviziat bei
Scotland Yard verbracht. Doch die Emerenz besaß ein wohlgepanzertes Gewissen
und erklärte seelenruhig, sie dächte gar nicht an Diebstahl, sondern wolle sich
nur ein Andenken an diesen heiligen Ort mitnehmen. Was mache es denn aus, ob
ein Schlüsselbein mehr oder weniger hier sei? Sie werde es daheim in Silber
rahmen lassen und ihm einen Ehrenplatz im Reliquienschrein verschaffen.
Außerdem sei sie gerne bereit, dem Kloster einen Gallenstein des Regensburger
Kanzelredners, bei dem sie in Dienst gestanden, als Tauschgabe zu überlassen.
Der junge Kapuziner begriff kein Wort und setzte ihrem Trommelfeuer nur stets
ein energisches »Zum Guardian! Zum Guardian!« entgegen. So mußte ihm Emerenz
schließlich folgen. Ihre Pilgergenossen sahen teils belustigt, teils erbost,
auf jeden Fall aber tatenlos diesem Auftritt zu.
Zehn Minuten später erschien Emerenz wieder an der
Klosterpforte und schwenkte triumphierend das umkämpfte Schlüsselbein. Sie
erzählte, der Guardian habe erst lateinisch in seinen Bart gebrummt, dann
italienisch losgepoltert. Als sie ihn durch Gebärden (durch welche wohl?) von ihrem
Deutschtum überzeugt hatte, seien seine Augen erglüht und er habe dreimal
begeistert den Namen »Adenauer« ausgerufen. Ihm zuliebe habe er ihr das
Schlüsselbein geschenkt, sie aber habe ihm aus Dank eine Banknote in die Hand
gedrückt, damit er seine Kirche einmal gründlich entstauben lasse. Daraufhin
habe er säuerlich geschaut, dann aber genickt und sie mit Segensworten
entlassen.
»Na also«, besiegelte der Monsignore den Bericht
der Emerenz. Er war froh, daß keine größere Schererei erwachsen war. »Und nun
zum Mittagessen.« Es gab Reissuppe, Thunfisch und Schokoladenpudding. Um diese
delikate Mischung wie auch den Zeus von Otricoli und die Aldobrandinische
Hochzeit geruhsam zu verdauen, kommandierte Birnmoser alle Pilger in die
Betten. Die kurze Siesta tat Wunder. Bald nach zwei Uhr kletterten sie frisch
und unternehmungslustig in die Autobusse. Das Ziel hieß Nettuno. Vorbei am
Weltausstellungsgelände ging es in die Campagna hinaus. Die gemischte Pfarrjugend
pfiff »Aus grauer Städte Mauern«, Sulamith las in Goethes Italienischer Reise
und Schwester Annaberta ließ sich von der Medizinstudentin die
Frischzellentherapie erklären.
Auf einmal erzitterte die Luft von einem Geschrei,
daß der Fahrer entsetzt nach dem Bremshebel griff und glaubte, ein Mord sei
geschehen. Dabei hatten die Landratten nur das Meer entdeckt. Mit Ausnahme der
Schulrätin, die von ihren Englandfahrten her den Ärmelkanal so gut kannte wie ihre
Tochter die Etüden von Clementi, streckte und reckte alles die Hälse zum
Fenster hinaus, auch die kurzsichtige Schwester Annaberta. Das Meer! Das Meer!
Und dann wurden sie auf einmal still und flüsterten nur noch. Dem Kaplan
behagte diese Flaute wenig. Er forderte seine Jugend auf, ein Lied vom Meer
anzustimmen. Sie wußten keines. »Schleswig-Holstein, meerumschlungen« war nur
der allerreifsten Jugend noch bekannt. »Dann irgendein anderes Lied, wo das
Wasser eine Rolle spielt!« Wieder überlegten die jungen Leute, und dann
begannen auf einmal, sanft begleitet vom Motorengebrumm, ein
Klaviertransporteur und eine Friseuse aus dem Kohlenpott in einträchtiger
Zweistimmigkeit: »Jetzt gang i ans Brünnele, trink aber net« und sangen so
innig schön, daß beim »herztausige Schatz« sogar die hochprozentig
intellektuelle Sulamith ihre Mutter um ein Taschentuch anpumpen mußte.
In Nettuno stellte der Monsignore seine
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