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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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Verborgenen wirken und damit auf all das
verzichten muß, was sie den Sinnen anziehend macht. Und da geschah auf einmal
etwas ganz Unprogrammäßiges. Mitten ins ergriffene Schweigen hinein forderte
Kaplan Schlüter die Pilger auf, für die verfolgte Kirche unserer Zeit zu beten,
die nicht einmal Katakomben habe, in die sie sich flüchten könne, die einem
Feinde widerstehen müsse, neben dem sich Nero und Diokletian wie Lehrlinge
ausnähmen, weil ihm außer der körperlichen Qual noch das ätzende Gift der
Propaganda, die seelische Zermürbung als Kampfmittel dient. Und so beteten sie
alle, fest und klar, in den verfolgten Glaubensbrüdern möge das Licht des
Glaubens und der Hoffnung nicht entschwinden, sondern aufleuchten wie die
brennenden Wachsstöckchen in den Katakomben.
    Das Vaterunser war verklungen. Die gefalteten
Hände lösten sich wieder. Da trat Monsignore Schwiefele auf den Kaplan zu,
streckte ihm die Rechte hin — mit der Linken wischte er sich verstohlen übers
Auge — und sagte: »Ein Ziel der Wallfahrt ist also erreicht. Gott vergeb
es Ihnen, lieber Konfrater!«
    »Amen!« erscholl es in einem Baß, der es mit den
fünf Stockwerken der Katakomben an Tiefe wohl aufnahm. Lächelnd wandte sich
alles nach dem Sprecher um. Der Hopfenbauer war’s gewesen, und nun strich er
verlegen seinen Schnurrbart. »Entschuldigens’ bitte die Störung!« sagte er
dann.
    »Aber warum?« entgegnete Birnmoser. »Sie haben nur
laut gedacht, was jeder von uns etwas leiser gedacht hat!«
    Als man wieder das Tageslicht erreicht hatte,
zitierte Sulamith »Die Träne quillt, die Erde hat uns wieder« und heimste dafür
von älteren Damen respektvolle Blicke ein. Der Mesner brummte vor sich hin, die
Katakomben wären noch schöner, wenn es in ihnen nicht wie in einem
Kartoffelkeller röche, und erntete dafür einen mißbilligenden Blick der
Schwester Annaberta. Sie wäre am liebsten noch einmal allein hinuntergestiegen,
um die fromme Ergriffenheit noch ein wenig länger im Herzen zu behalten. Doch
schon hupten die Chauffeure, als zöge man ihnen jede Sekunde vom Gehalt ab. Der
Kaplan sah auf die Uhr: »Was wollen diese nervösen Leute? Wir kommen nur eine
Minute zu spät!« »Was wollen Sie, Hochwürden? Die Italiener sind ein
talentiertes Volk. Sie lernten Pünktlichkeit schneller von uns als uns lieb
ist«, bemerkte Fräulein Süß schalkhaft, und zog sich dadurch den Abscheu der
ganzen gemischten Pfarrjugend zu.
    Zehn Minuten später stürmte unser deutsches
Fähnlein durch das vornehme Atrium der Basilika Sankt Paul vor den Mauern. Tief
beeindruckt von der ruhigen Schönheit dieser Kirche und ausgerüstet mit
Ansichtskarten vom malerischen Kreuzgang der Abtei ging es dann an der
Cestiuspyramide vorbei — »Wie gerne hätte ich das Grab von Goethes Sohn
besucht!« rief die Schulrätin — auf den Aventin hinauf. Im alten Rom ein
Plebejerviertel, ist der Aventin heute ein stilles Villenquartier. Und es
wunderte keinen Pilger zu hören, daß hier oben zwei noble Orden — Benediktiner
und Dominikaner — thronten. Zuerst warf man einen Blick in das helle Heiligtum
von Santa Sabina, dann einen zweiten, sehr intensiven durch das Schlüsselloch
der Malteservilla. Was jede Mutter ihren Kindern schärfstens verbietet — hier
wird’s zum Ereignis! Bis nun jeder die Peterskuppel aus der
Kammerzofenperspektive bewundert hatte, rollte eine dicke Wolke, mausgrau wie
die Pelzchen der Kanoniker vom Lateran, herbei und entlud sich justament über
dem Aventin, und zwar mit solcher Vehemenz, daß dem Monsignore nichts anderes
übrigblieb, als seine Schäfchen in der überdachten Hürde des heiligen Benedikt,
genannt Sant’ Anselmo, ins trockene zu bringen. Der Besuch dieser Kirche war im
offiziellen Programm nicht vorgesehen und so wußte nicht einmal Birnmoser viel
darüber zu sagen. Der Regen trommelte hier nicht nur aufs Dach, sondern, da
dieses offenbar undicht war, auch auf den Mosaikboden der Kirche. Hei, wie das
pritzelte und pratzelte, als hockten erzkatholische Barockputten im Gebälk und
spuckten, wütend über das nüchterne Kircheninnere, Kieselsteine herunter! Ein
Klosterbruder, rot vor Eifer, schaffte Marmeladeneimer herbei, um die Sintflut
abzufangen. Derweilen unterzogen sich die Mönche selbst einer Gesangsprobe.
Alle hielten dicke Bücher in der Hand und blickten teils aufmerksam, teils
grimmig auf einen Mitbruder — offensichtlich der Kantor — , der zwischen Thron
und Altar wie ein nektarlüsterner Trauermantel

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