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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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Ring geküßt und glückselig den Worten
gelauscht hatten, die er jedem in seiner Muttersprache sagte! Zu guter Letzt — wieviel
Zeit mochte wohl vergangen sein? — hatte er sie alle mit der langsam
eindringlichen Gebärde, die den großen Einsamen zugehört, eingeladen, sich um
ihn zu scharen und sich dem Photographen zu stellen; es sollte doch jeder ein
Andenken an die langersehnte Stunde haben. Endlich waren sie noch einmal
niedergekniet und hatten seinen Segen empfangen. Als Annaberta wieder
aufgeschaut hatte, war der Heilige Vater schon in seine Gemächer entschwunden.
Ach, es war schön gewesen — bis auf das kleine Mißverständnis, über das sich
Schwester Annaberta nun wohl ihren Lebtag lang ärgern wird (freilich nicht
allzusehr!). Welches Mißverständnis denn? Nun, der Heilige Vater pflegte über
alles, was man ihm in einem Schächtelchen oder in der Tasche zum Segnen darbot,
ein Kreuzlein zu zeichnen. Selig vor Verwirrung hatte auch Schwester Annaberta
ihre Reisetasche geöffnet, aber das falsche Fach, und so zeichnete der Heilige
Vater mit Andacht und Würde sein Kreuz nicht über Rosenkränze und Medaillons,
sondern über ein rosiges Marzipanschweinchen, über Esel, die auf schiefen
Ebenen von selber laufen, Püppchen mit rollenden Augen, Äffchen aus Stoff,
Stehaufmännchen, einen Wachselefanten mit dem Aufdruck >Anno Santo<,
Peterskirchen aus Schokolade, zierliche Kardinalshütchen und was sonst an
eßbarem oder ungenießbarem Spielzeug die Schwester für ihre Waisenkinder
eingekauft hatte. Sie war furchtbar verlegen, weil der Heilige Vater ihren
Irrtum nicht einmal merkte. Um so besser hatte es freilich Frau Schulrätin bemerkt
und das Mißverständnis natürlich nach der Audienz sofort den anderen Damen
weitererzählt, weshalb sich Schwester Annaberta am liebsten in den Marmorboden
hineingeschämt hätte. Jedenfalls schlich sie so gebeugten Hauptes aus dem
vatikanischen Palast, daß sie ihre Reisegefährten aus den Augen verlor. Nun
stand sie mutterseelenallein auf dem Petersplatz und konnte kein Wort
Italienisch außer »Santo Padre« und »Mille grazie«.

    Waren sie nicht vorhin von links zum Petersplatz
gekommen? Schwester Annaberta mußte sich jetzt also rechts halten, wenn sie
denselben Weg benutzen wollte. Unversehens geriet sie in einen Schwarm
amerikanischer Matronen, die verzückt und gelangweilt ihrem Guida lauschten.
>Die nehmen sicher auch den Weg zum Bahnhof<, murmelte Annaberta und
beschloß, im Strom der demokratischen Töchter Amerikas mitzuschwimmen. Am
Bahnhof wüßte sie sich schon weiterzuhelfen. Aber o weh, bereits am nächsten
freien Platz bestiegen die Damen einen himmelblauen Omnibus und brausten zur
nächsten Sehenswürdigkeit. >Alle Wege führen nach Rom<, dachte sich
Annaberta. >Aber welcher führt wohl wieder hinaus?< Wenn sie nur jemanden
fragen könnte! Es liefen doch sicher Tausende ihrer Landsleute in Rom herum.
Doch, so sehr sie ihre Ohren auch anstrengte, aus dem Stimmengewirr ließ sich
kein deutscher Laut herausfiltrieren. Jaja, so sind die Deutschen, brauchst du
sie nicht, laufen sie dir überall zwischen die Beine, und brauchst du sie
einmal, findest du eher einen Australneger als sie! Und die Gassen schoben sich
immer enger zusammen, immer stärker roch es nach Knoblauch, verfaulenden
Fischen und Abfall. Von Fenster zu Fenster hing Wäsche zum Trocknen, und von
mancher Hose patschte der guten Schwester ein fetter Tropfen auf die
frischgestärkte Haube. An Sauberkeit haben diese Römer noch manches zu lernen, sagte
sie sich. Doch bald sagte sie gar nichts mehr, weil sie viel zu müde dazu war.
Stundenlang irrte sie schon durch die winkligen Gassen, ohne irgendwo die
Kuppel der Peterskirche zu erblicken oder an den Tiber zu geraten. Einmal
wandte sie sich an einen der schönen Schutzmänner und sagte »Bahnhof«. Der
Hüter der Ordnung lächelte bezaubernd und schüttelte den Kopf.

    Der Abend brach herein und mit ihm der Hunger.
Doch sie trug kein Geld mehr bei sich. Alles hatte sie am Vormittag für
Spielzeug ausgegeben; ihre größeren Beträge hatte sie dem Monsignore
anvertraut. Der Monsignore — ob er sie vermissen wird? Oder saß er beim Wein,
den Herr Birnmoser diesen Abend stiften wollte, und verfügte über keinen
Gedanken an die arme Schwester, die sich auf dem Pflaster von Trastevere die
Füße wundlief?
    Bänke kannte man in diesem Viertel Roms nicht, so
ließ sich die erschöpfte Schwester auf einer Treppenstufe nieder. Sie versuchte
ihren

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