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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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Leute nach
Geschlechtern getrennt in Dreierreihen auf und führte sie in geordneter
Prozession zur Kirche der heiligen Maria Goretti. Nach ein paar
selbstformulierten Gebeten hielt er eine Ansprache über das Heilandswort: »Die
Leuchte deines Leibes ist dein Auge; ist dein Auge klar, wird auch dein ganzer
Leib erleuchtet sein« und forderte besonders die Jugend auf, sich inmitten
einer Welt, die aus den
    Fugen gerät, ein reines Herz und einen hochgemuten
Sinn zu bewahren. Nach dem kräftigen Amen, das für alle viel zu früh kam, so
sehr hatten sie die schlichten, herzlichen Worte begeistert, nach dem Amen also
verkündete der Monsignore noch eine frohe Botschaft: »Morgen vormittag um zehn
Uhr werden wir in einer Sonderaudienz mit dem Heiligen Vater selber sprechen!«
    Bloß gut, daß sie in der Kirche waren! Die Pilger
hätten den guten Monsignore umgerissen vor Freude. Als sie im Freien standen,
wollte jeder Einzelheiten wissen. Doch er schwieg und schmunzelte nur.
    Und nun waren zwei Stunden Zeit bis zur Heimfahrt.
Jeder durfte tun, was ihm behagte: im Meere baden, den amerikanischen
Soldatenfriedhof besuchen, durch Nettuno bummeln oder sich im Dolce far niente
üben.
    Der Pfarrjugend männlicher Teil entschied sich
fürs Schwimmen.
    »Sie auch, Herr Kaplan?« fragte Monsignore
Schwiefele.
    »Warum nicht? Die Kirche Gottes braucht nicht nur
kluge Köpfe, sondern auch gesunde Körper.«
    »Gewiß, gewiß. Und doch würde ich mich nicht in
der Badehose dem gläubigen Volke präsentieren.«
    »Das ist verständlich, Monsignore«, erwiderte der
Kaplan und tippte Schwiefele fast freundschaftlich auf seine Vorderapsis. Alles
lachte, der Monsignore am lautesten. »Im übrigen werden wir soweit von der
Stadt entfernt ins Wasser gehen, daß uns nicht einmal das Fernrohr der
Schulrätin erreichen kann!«

    Sprach’s und zog los, um sich mit Haifischen
abzuraufen und von Seeigeln stechen zu lassen, während sich die Nichtschwimmer
im nahen Restaurant erfrischten, nahezu den ganzen Limonadenvorrat aufkauften
und die Musikbox in Atem hielten. Emerenz Obermair, Ablaßspezialistin und
Nachrichtenbüro ihrer Heimatgemeinde, schrieb an ihre Freundin Kreszenz
Schwammwieser, daß es in Nettuno sehr schön sei, sie aber später einmal nicht
wie die heilige Jungfrau Maria Goretti als Wachspuppe in einem Glassarg liegen
und von jedermann ungeniert angeguckt werden möchte. Die gebildeteren Damen
stritten sich, welches Kleid zur Papstaudienz getragen werden müsse. Baron von
Neuhaus grübelte beim Anblick des Meeres, warum wir Rom, die männlichste aller
Städte, so gerne Mutter nennen. Der Hopfenbauer jammerte, daß es in Nettuno
kein Bier gäbe und auch dieses noch so schlecht sei. Der Mesner wiederum regte
sich über seine schlampigen römischen Kollegen auf. Auf einem gewissen Altar in
einer gewissen Kirche hätte er in die Staubschicht seinen Namen gemalt. Den
könne seine Frau sicher noch lesen, wenn sie nächstes Jahr mit der
St.-Rita-Bruderschaft nach Rom fahre.
    Schwester Annaberta saß nicht im Restaurant.
Fräulein Eva hatte sie an den Strand begleitet und ihr auf einen Felsvorsprung
hinaufgeholfen. Entzückt schaute sie auf das Meer und konnte sich nicht satt
sehen daran. Zu ihren Füßen war es tiefblau wie der Mantel der Madonna. Gegen
den Horizont hin leuchtete es mehr und mehr und die Segelboote flogen darüber
hin wie Boten himmlischen Segens. Wo sich Meer und Himmel berührten, konnte
Annaberta mit ihren schlechten Augen nicht erkennen. Und so schmolzen Meer und
Himmel für sie zu einer einzigen strahlendblauen Glocke zusammen, und sie war
der Klöppel, und läutete selig den Feiertag der Vatergüte Gottes ein.
    Schwester Annaberta schloß die Augen, um all den
Glanz und das Glück recht tief in der Schatzkammer ihres Herzens zu versenken.
Und nun spürte sie noch gewaltiger den Atem des Meeres, den Rhythmus der
Wallfahrt, welche die Schöpfung seit Jahrmillionen unternommen hat. Der Choral
der Tannenwälder war ihr wohlvertraut, auch das volle Orchester der
Gewitterstürme, der wogende Puls der Getreidefelder, wenn der Wind werbend um
die schlanken Halme streicht — und nun durfte sie das Meer erleben, den
ältesten Freund Gottes. Noch ehe der Schöpfer rief: »Es werde Licht!«, war es
da und sein Geist ruhte auf ihm. Der Schwester Herz flatterte vor lauter Dank
wie ein Vöglein, das, aus dem Nest gefallen, sich plagt, einen rettenden Wipfel
zu erreichen. »Wären nur meine Waisenkinder hier, wären nur meine

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