Allein auf Wolke Sieben
sitzt wie angegossen. »Dazu ein Paar halbhohe, dunkelbraune Stiefel. Oder doch lieber flache Ballerinas. Vielleicht besser beige Pumps. Und eine weiße Bluse. Nein, ein langärmeliges Shirt. Oder doch einen leichten Sommerpullover? In rosa vielleicht? Nein, braun. Oder schwarz? Hellblau?«, probiere ich herum und von dem schnellen Farbwechsel wird mir ganz schwummerig vor Augen. Dann beschließe ich, dass ein Rock sowieso eine dumme Idee ist und entscheide mich für einen schmalgeschnittenen, ockerfarbenen Hosenanzug. Dann ist das Make-up an der Reihe. Seit ich hier bin, habe ich mich nicht mehr geschminkt, es ist gar nicht so einfach, die richtigen Nuancen zu treffen.
»Alles noch mal runter«, befehle ich angesichts meiner Kriegsbemalung und füge, kaum dass ich den kühlen Luftzug auf meiner nackten Haut spüre, ein genervtes »Nicht die Klamotten, nur das Make-up« hinzu. Dann greife ich zu etwas dezenteren Farben und betrachte
verzückt, wie meine Gesichtshaut auf Kommando einen sanften Schimmer erhält, sich die Wimpern nach oben biegen und ein Hauch puderiges Rouge auf den Wangen mir Frische verleiht. »Wunderbar«, seufze ich zufrieden und drehe mich noch einmal um die eigene Achse, als es klingelt.
»Herein«, trällere ich, woraufhin sich die Türe weit öffnet.
»Guten …«, beginnt Thomas und hält mitten in seinem Gruß inne. Mit offenem Mund steht er da und starrt mich an.
»… Morgen«, ergänze ich gutgelaunt. »Na, wie sehe ich aus?«
»Himmlisch«, antwortet er, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hat, und ich lächele geschmeichelt.
»Danke.«
»Ich wollte, äh …« Anscheinend hat mein Nachbar keine Ahnung, was er eigentlich wollte, also helfe ich noch einmal nach.
»Wahrscheinlich mit mir gemeinsam zur Arbeit gehen, richtig?«
»Äh, genau, das war’s.« Sein Gesicht hellt sich auf und er nickt eifrig.
»Das ist lieb von dir«, sage ich, während ich vor dem Spiegel noch schnell ein paar Ohrringe ausprobiere. Perlenstecker? Silberne Kreolen? Nein, lieber doch nicht. »Also dann, ich bin bereit!«
Gemeinsam schlendern wir durch die Milchstraße und biegen rechts in die Wolkenallee ein. Während ich leise vor mich hinsumme, spüre ich immer wieder Thomas irritierten Blick auf mir ruhen. Das kann ich ihm nicht
verdenken, immerhin kennt er mich bisher nur als miesepetrigen Trauerkloß.
»Ähm, Lena«, spricht er mich nun vorsichtig von der Seite an, »du weißt aber schon, dass du Michael nicht besuchen kannst?« Ich erstarre mitten in der Bewegung und sehe ihn fassungslos an. Sein Blick ist voller Mitgefühl, doch er schüttelt nachdrücklich den Kopf. »Hast du denn das R.A.B.S.E. nicht gelesen, das ich dir vorbeigebracht habe?« Schuldbewusst senke ich den Kopf. Nein, ehrlich gesagt liegt das dicke, zerfledderte Buch, auf dessen verschlissenem Ledereinband in goldenen Lettern »Regelwerk zur Abholung und Begleitung der Seelen von der Erde« steht, noch unberührt auf meinem Nachtschränkchen. »Da steht es ganz klar und deutlich, Paragraph siebzehn, wenn ich mich nicht irre: ›Dem Helfer ist es nicht gestattet, seine Einsätze auf der Erde für private Ausflüge zu missbrauchen. Insbesondere ist es ihm strengstens untersagt, während der Geschäftszeiten die eigenen Hinterbliebenen zu besuchen.‹«
»Wo sollte ich denn wohl sonst hinwollen?«, frage ich ärgerlich, weil mir dieser Zusatz noch hirnloser vorkommt als der Paragraph an sich. Meine gute Laune ist auf einmal wie weggeblasen und Thomas sieht aus, als würde er mich am liebsten in den Arm nehmen, wenn er mich denn berühren könnte. »Was ist denn das für eine schwachsinnige Regel?«, schimpfe ich vor mich hin. »Wozu soll das gut sein?« Mein Gegenüber hebt nur hilflos die Schultern.
»Keine Ahnung. So steht es eben im Regelwerk.«
»Und alle halten sich daran?« Wieder ein Achselzucken.
»Glaub schon.«
Schweigend setzen wir unseren Weg fort. Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, meine Enttäuschung zu verbergen. Ich hatte mich so sehr darauf gefreut, Michael wiederzusehen. Wozu habe ich mich wohl ungefähr zehnmal umgezogen? Und jetzt soll ich ihn nicht besuchen dürfen? Wegen eines dämlichen Paragraphen in irgendeinem dummen Regelwerk? Plötzlich habe ich einen Einfall.
»War Helfer früher eigentlich mal ein Männerberuf?«, erkundige ich mich bei Thomas, der mich überrascht ansieht.
»Nicht dass ich wüsste, wieso?«
»Was ist das dann für ein blödes Buch, das nicht einmal die weibliche
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