Allein auf Wolke Sieben
Berufsform berücksichtigt?«
»Hä«, fragt er begriffsstutzig.
»Na ja, es ist DEM Helfer verboten, das und das zu tun. Was ist denn mit der HelferIN?«
»Na ja, ich schätze, für die gilt dasselbe.«
»Ja, vermutlich«, sage ich missmutig und beschließe, dass Thomas nicht der richtige Gesprächspartner für meine aufrührerischen und feministischen Ideen zu sein scheint.
»Tut mir echt leid, dass du so enttäuscht bist«, sagt er nun mitfühlend und ich nicke stumm, weil der Kloß in meinem Hals mich daran hindert, irgendetwas zu sagen. »Aber, ich meine, wahrscheinlich ist es besser so, diese Regel wird schon ihren Grund haben«, fährt er fort und ich sehe ihn kampfeslustig an.
»Natürlich hat sie einen Grund. Wir sollen unsere wertvolle Arbeitszeit nicht darauf verschwenden, rührselig die Vergangenheit heraufzubeschwören. Wenn man selber unsterblich ist, fällt es leicht, solche Gesetze aufzustellen.
Der Typ hat ja nicht die geringste Ahnung, wie es ist, einfach so aus dem Leben gerissen zu werden, ohne Vorwarnung, und alles zu verlieren, was man geliebt …« Ich breche abrupt ab und atme tief durch. Es ist unfair, Thomas so anzuschreien, schließlich kann er nichts dafür.
»Glaub mir, es ist besser, wenn du Michael nicht da unten aufsuchst«, dringt er jetzt in mich und ich hebe trotzig das Kinn.
»Und warum nicht?«
»Er kann dich nicht sehen, kann nicht mit dir reden. Als Geist sichtbar zu sein, ist sehr schwer zu erlernen. Du musst mindestens sieben der zehn Kurse zum Thema ›Geistern‹ belegt haben, damit er dich auch nur als Windhauch wahrnehmen kann. Und selbst dann wird er dich wahrscheinlich für genau das halten: einen Windhauch.«
»Michael ist hochsensibel, er wird meine Gegenwart natürlich spüren«, behaupte ich störrisch, aber Thomas geht darauf gar nicht ein.
»Du bist vor über einem halben Jahr gestorben. Er muss damit irgendwie fertigwerden, muss sein Leben weiterführen, auch ohne dich. Und vielleicht …« Der Satz hängt unvollendet in der Luft und meine Nerven sind plötzlich zum Zerreißen gespannt.
»Vielleicht … was?«, frage ich ahnungsvoll und er fährt leise fort: »Vielleicht willst du gar nicht wissen, wie er das macht.«
Als wir in der Himmelsstraße ankommen, bin ich noch immer wie betäubt. Mechanisch verabschiede ich mich von Thomas, fahre wie ferngesteuert mit dem Aufzug in
den zweiten Stock, wo ich mich im Sekretariat melde. Dort wartet schon Theo, derselbe Helfer, der mich damals abgeholt hat. Meine vierwöchige Traineeausbildung werde ich bei ihm absolvieren.
»Hallo, Lena, schön, dass du so pünktlich bist«, begrüßt er mich freundlich und beginnt, während wir gemeinsam mit dem Fahrstuhl wieder hinunterfahren, ohne Punkt und Komma auf mich einzureden: »Ich freue mich wirklich sehr auf die nächsten Wochen, ist doch mal eine nette Abwechslung, zu zweit unterwegs zu sein. Also, ich schlage vor, dass wir uns jeden Morgen eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang hier in der Halle treffen. Vor einem halben Jahrhundert ist zwar auch bei ›Soulflow‹ endlich die Gleitzeit eingeführt worden, aber ich beginne mein Tagewerk gerne früh. Umso schneller hat man Feierabend, nicht wahr?«
»Ja, klar«, nicke ich, weil er mich so erwartungsvoll anschaut. Eigentlich habe ich gar nicht zugehört. Seit dem Gespräch mit Thomas habe ich nur noch einen einzigen Gedanken im Kopf: Was hat er damit gemeint: Vielleicht will ich gar nicht wissen, wie Michael sein Leben weiterlebt? Glaubt der allen Ernstes, dass mein Fast-Ehemann dort unten schon wieder eine Freundin hat? Natürlich, genau das hat er damit sagen wollen. Bei diesem Gedanken wird mir plötzlich wahnsinnig schlecht.
»Dies ist die Auftragsausgabe, leider gibt es hier immer lange Schlangen, dabei habe ich mich schon des Öfteren beim Chef beschwert. Nun ja, anscheinend will kaum einer den Job machen. Hier, wir stellen uns ganz links an, ist das nicht dein Nachbar? Ich glaube, ich habe euch schon einige Male zusammen gesehen. Wie heißt er doch gleich?«
»Thomas«, antworte ich.
»Genau, Thomas. Bei ihm herrscht zwar immer ein gewisses Durcheinander, aber er ist dennoch sehr beliebt bei den Helfern. Ich weiß nicht, wie er es anstellt, aber irgendwie landen die spannendsten Aufträge immer bei ihm.«
»So?«, frage ich desinteressiert, weil sich vor meinem inneren Auge gerade Michael mit einer gesichtslosen Blondine durch unser Bett wühlt. Dann wechselt die Unbekannte die Haarfarbe und
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