Allein die Angst
an der Wand steht, und hämmere mit den Fäusten auf ihn ein. Das metallische Geräusch explodiert in der nächtlichen Stille.
»Rae …«, schluchze ich in das Echo.
»Alles in Ordnung?«, fragt eine Männerstimme.
Als ich wieder zu mir komme, werde ich gewahr, dass ich auf den schon für morgen blankpolierten Bodenfliesen stehe, neben dem geschlossenen Blumenladen lauter leere Vasen hinter den schwarzen Fenstern. Und dass ich am ganzen Leib zittere.
Ich drehe mich um und sehe im Schatten der Cafeteriatür einen hochgewachsenen Mann mit dunklen Haaren stehen. Einen Augenblick lang glaube ich, Jez zu erkennen. Und einen Augenblick lang bin ich erleichtert. Denn Jez kann ich einen dieser dunklen Flure entlang in ein dunkles Zimmer ziehen, damit er den Schmerz eine Weile von mir nimmt.
»Geht’s Ihnen gut?«, fragt der junge Polizeibeamte noch einmal und tritt näher zu mir.
Zitternd stehe ich da. Klar. Jez kann es ja gar nicht sein. Denn Jez ist nicht hier. Jez ist zu Hause bei den Jungs.
»Kommen Sie doch mit und setzen Sie sich. Wir holen Ihnen etwas zu trinken«, sagt der Polizeibeamte.
Ich sehe ihm scharf ins Gesicht; am liebsten hätte ich ihn angeschrien, dass auch er nicht ganz unschuldig an der Misere ist. Dass er mich früher vor dieser Frau hätte warnen sollen. Aber das ist nicht der Moment dafür.
Es war meine Aufgabe, meine Tochter zu beschützen. Und ich habe versagt.
Also lasse ich es zu, dass er mich fürsorglich in die leere Cafeteria führt, wo die Stühle ordentlich auf die Tische gestapelt sind und gedämpfte Nachtlampen ein paar Getränkeautomaten in der Ecke beleuchten. An einem der Tische sitzt eine Beamtin und telefoniert. Vor ihr liegt ein Aktenordner. Sie sieht mich, beendet ihr Gespräch und klappt den Ordner rasch zu.
»Gibt es etwas Neues?«, erkundigt sie sich, steht auf und stellt mir einen Stuhl hin.
Ich schüttle benommen den Kopf. Da übernimmt sie von ihrem Kollegen sanft meinen Arm und führt mich zu dem Stuhl.
Es dauert noch ein paar Minuten, bis die Beamten mit mir sprechen. Sie räumen im Hintergrund herum, während ich stumm vor einer Dose widerlichem Mineralwasser sitze, die sie mir aus dem Automaten herausgelassen haben. Die kalte Flüssigkeit, die mir die trockene Kehle hinunterrinnt, fühlt sich an wie Rasierklingen. Vage höre ich woanders ein leises Murmeln.
Dann setzen sich die beiden mir gegenüber und lächeln mich wieder an. Der Mann beginnt zu sprechen.
»Deborah Ribell sagt dasselbe wie beim letzten Mal. Dass es nicht ihre Schuld war. Sie sagt, Suzy Howard habe den Wagen absichtlich gegen die Bank gefahren, um Ihr Kind zu verletzen, und habe zuvor ihre Absicht Mrs. Ribell gegenüber klar kundgetan.«
Ich sehe ihn an. »Was sagen Sie da? Das ist doch lächerlich. Sie wissen, dass Debs bereits ein Kind attackiert hat. Warum hören Sie ihr überhaupt zu?«
Augenrollend wende ich mich dem dunklen Fenster zu. Dort sehe ich gespiegelt, wie sich die beiden Beamten einen Blick zuwerfen.
»Miss Roberts, haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte, dass Deborah Ribells Anschuldigungen einen wahren Kern enthalten könnten?«
»Ich finde es ungeheuerlich, dass Sie das überhaupt fragen. Suzy würde keiner Fliege etwas zuleide tun, und Rae schon gar nicht.«
Er zuckt mit den Achseln. »Wir werden uns morgen früh mit Mrs. Howard unterhalten und der Sache auf den Grund gehen. Aber so weit Sie wissen, hat Mrs. Howard keine Veranlassung zu lügen?«
»Natürlich nicht. Wie oft soll ich das noch wiederholen?«
Die Beamtin sieht mir forschend ins Gesicht. Sie lässt sich viel Zeit, sucht nach den richtigen Worten. »Darf ich fragen, wie lange Sie Mrs. Howard schon kennen?«, erkundigt sie sich dann vorsichtig.
Ich zucke mit den Achseln. »Zwei Jahre? Zweieinhalb? Wir sind Nachbarinnen.«
»Und Sie kennen sie gut?«
»Ja.«
Sie sagt nichts. Mir fällt auf, wie fest ihre Hand auf dem Ordner vor ihr liegt.
»Nun ja, so gut man sich eben kennen kann. Wir passen gegenseitig auf unsere Kinder auf.«
»Und Sie haben Vertrauen zu Mrs. Howard?«
Ich betrachte das Gesicht der jungen Frau. Wahrscheinlich liegen noch viele Jahre vor ihr, bis sie selbst Kinder kriegt.
»Wir sind hier in London.« Ich bemühe mich, meine Gereiztheit nicht durchklingen zu lassen. »Da hat man keine große Wahl, nicht? Was Nachbarn, was andere Mütter betrifft. Man kann nicht alles über jemanden wissen, dem man in der Großstadt so begegnet. Aber ja, ich vertraue ihr. Sie hat
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