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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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sanften, muskulösen Arme, und dort blieb sie und schaukelte hin und her, und er ließ sie nicht los.

Kapitel 54 Callie
    »Wo ist sie?«, schreit mir Tom entgegen, als er in die Northmore-Ambulanz stürmt.
    Seine Augen sind blutunterlaufen. Ich starre ihn nur an und deute auf eine Tür.
    »Herr im Himmel!«, platzt er heraus. Er presst die Unterarme gegen die Schläfen. »Was ist passiert? Dieses verdammte Weib, Cal. Ich hab’s dir ja gleich gesagt.«
    Ich stehe da, wartend, wie festgeklebt.
    »Wo ist sie?«, brüllt er und packt mich am Arm.
    Ich atme zwei-, dreimal tief durch und zwinge mich, ein Wort nach dem anderen auszusprechen.
    »Sie wurde gerade in die Kardiologie gebracht. Sie ist gegen die Rückenlehne des Beifahrersitzes geprallt.«
    »Was sagen die Ärzte?«
    »Sie ist im Kernspin. Sie befürchten, dass …«
    »Was?«
    »Sie hat einen Schlag gegen die Brust erlitten. Deshalb befürchten sie, dass die alte Reparatur der Aorta …«
    »… gerissen ist?«
    Ich schließe die Augen und nicke.
    »Ach du lieber Gott.« Er schlägt die Hände übers Gesicht.
    Und ich habe es zu verantworten. Ich bin schuld. Es ist Freitagabend, und in der Ambulanz trudeln schon die Betrunkenen ein. Ein Mann stinkt fürchterlich nach Urin; als er hinfällt, wird er von den Schwestern einfach liegen gelassen und flucht in unsere Richtung. Ein anderer sitzt mit seinem Kumpel da, ein Handtuch um eine blutende Armwunde gewickelt; er hat ein Gesicht wie ein bissiger Hund.
    Dämonen, denke ich. Die sind meinetwegen hier. Ich bin umzingelt von Dämonen. Als Strafe dafür, was ich getan habe.
    »Warum hast du sie nicht angezeigt?«, fragt Tom und sieht mich trostlos an. »Ich hab dir doch gesagt, dass mit dem Weib was nicht stimmt.«
    »Warum hast du sie nicht angezeigt, Tom?«, murmle ich. »Wir sind schließlich zwei.«
    Er rollt mit den Augen und lehnt sich neben mich an die Wand. So stehen wir da. Hilflos.
     
    »Das Herz ist von Schatten umgeben«, sagt der junge Arzt. »Und wir hören Herzgeräusche.«
    »Das ist normal.« Tom sucht verzweifelt nach einem Strohhalm, der Hoffnung gibt. »Viele Kinder haben nach solchen Operationen Herzgeräusche.«
    »Ich weiß«, sagt der Arzt. »Aber in diesem Fall, mit den Schatten noch dazu, möchten wir sie verlegen. In die …«
    »… Kinderkardiologie, wir wissen schon«, sage ich.
    Er sieht uns mitfühlend an. »Nur zur Sicherheit.«
    Tom und ich nicken beide.
    »Wir haben schon oben angerufen. Der diensthabende Arzt ist Doktor Piper.«
    Wir zucken beide mit den Achseln, geben uns geschlagen.
    »Machen Sie sich nicht allzu viele Sorgen, das wird schon wieder«, sagt der junge Arzt und geht davon.
    Ich fühle mich unsicher auf den Beinen, die Tränen beginnen zu fließen, dann fange ich in diesem schrecklichen Klinikflur an zu schwanken. Und in dem Moment, als ich mich nicht mehr aufrecht halten kann, als alles ringsum nachgibt, spüre ich, wie Toms Arme sich um mich legen wie die Sicherheitsbügel in der Achterbahn.
     
    Ich hatte gedacht, wenn ich mir das Schlimmstmögliche vorstelle, was passieren könnte, Tag für Tag, dann würde es nie passieren. Ich habe einmal gehört, dass Leute, die immer auf das Schlimmste gefasst sind, oft überleben, weil sie stets vorbereitet sind. Sie haben den Fluchtweg aus dem Flugzeug gespeichert, sich die Lage der Feuertreppe im Hotel eingeprägt, den Zweig, an den sie sich in einem reißenden Fluss anklammern werden, schon ausgesucht.
    Aber anscheinend habe ich mich geirrt.
    »Keine guten Nachrichten, fürchte ich. Wir glauben, dass es sich bei den Schatten um Blut handelt, das aus der Aorta austritt. In diesem Fall müssen wir noch einmal operieren«, sagt der Chirurg.
    Wir nicken benommen.
    Schon wieder.
    Eine Operation am offenen Herzen. Wir hatten gedacht, das wäre nie mehr nötig.
    Tom legt mir den Arm um die Schulter, wir gehen zu Rae zurück und nehmen ihre Hände. Sie liegt ruhig da, hat ein Beruhigungsmittel bekommen.
    Mein eigenes Herz schmerzt, als würde es auseinandergezerrt.
    »Rae, du bist so ein starkes Mädchen«, flüstere ich. »Es tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, um das zu merken. Aber eins versprech ich dir. Diese Operation wird prima laufen. Du wirst wieder ganz gesund. Und wenn du aus der Klinik kommst, planen wir als Allererstes deine Geburtstagsparty, ja? Hannahs Mummy hat mich gerade angerufen und gesagt, dass Hannah es kaum erwarten kann, dich wiederzusehen. Also sei stark, mein Schatz.«
    Ich beuge mich

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