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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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der sie leise aufjault, und greift nach meiner Hand. »Setz dich. Hör mal, das konntest du doch nicht wissen. Und dann dieser irre Arbeitsdruck – du hattest einfach zu viel um die Ohren. Jetzt wissen wir Bescheid, und das können die bei der Polizei nicht einfach ignorieren. Aber im Moment musst du das alles loslassen und nur an Rae denken. Sie wird jeden Moment aus dem OP kommen, und dann musst du stark sein. Das ist wichtig für sie.«
    Aber mich hat wieder die Panik im Griff; sie beutelt mich, dass ich zu zappeln anfange wie eine Marionette. Ich stehe wieder auf und tigere hin und her.
    »Ich hätte es merken sollen, Suze. Ich bin Raes Mutter.«
    Als ich an der Wanduhr vorbeigehe, schaue ich zum hundertsten Mal hinauf und stöhne laut und lange. »Du lieber Himmel. Warum dauert es denn so lang?«
    Suzy seufzt und steht mit einiger Mühe ebenfalls auf; sie hält ihren gebrochenen Arm fest. Dann tritt sie mir in den Weg, um mich am Herumlaufen zu hindern, und dreht mit ihrer gesunden Hand entschlossen mein Gesicht zu sich, damit ich sie ansehe. »Jetzt hör mir mal zu, Cal. Schau mich an. Ich weiß, dass das hier ein Albtraum ist. Aber Rae wird wieder ganz gesund werden. Wirklich. Und das mit der Bekloppten werden wir zusammen mit der Polizei klären. Ich bin für dich da, Honey. Wie du damals für mich, als die Zwillinge zur Welt kamen. Und ich verspreche dir, dass wir alles hinkriegen werden. Nur wir beide, zusammen. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um groß darüber zu reden, aber ich habe einen Entschluss gefasst – ab sofort werde ich mich nach der Schule um Rae kümmern. Dann weißt du, dass ihr nichts passieren kann. Und wenn du mal am Wochenende zu deinem Dad fahren musst oder so, kann sie bei mir bleiben. Dann hast du eine Verschnaufpause und ich die Gelegenheit, sie nach Strich und Faden zu verwöhnen. Ich passe richtig auf sie auf. Wenn Jez mit den Jungs mal bei seinen Eltern ist, machen Rae und ich uns ein schönes Mädels-Wochenende.«
    Was Suzy da sagt, beruhigt mich nicht, sondern verstärkt meine Panik eher noch. In meinen Ohren beginnt es laut zu pochen.
    Da sehe ich Tom mit zwei Bechern Kaffee durch die Schwingtür treten. Er und Suzy mustern einander stumm.
    »Ich brauche frische Luft«, keuche ich und stürze zur Tür hinaus.
     
    Erst laufe ich blindlings durch die Gänge, ohne zu wissen, wohin. Ich stolpere einen dunklen Flur entlang, dessen Wände von Kindern bemalt sind; er scheint kein Ende zu nehmen, wie ein Tunnel unter einem Gebirgsmassiv.
    Das Pochen in meinen Ohren wird lauter. Ich habe das Gefühl, meine Lungen sind mit etwas anderem gefüllt als Luft.
    Schließlich erreiche ich das Ende des Gangs und biege in den neuen, modernen Flügel mit dem großen Glasatrium. Wie ein Roboter laufe ich die weißen Gänge entlang und blicke aus den schwarzen Fenstern. Alle Korridore in den Stockwerken über und unter mir sind leer. Die Menschen, die, o welcher Luxus, die Klinik
tagsüber
aufsuchen, und das vielleicht nur ein-, zweimal im Leben, sind längst fort. Nur Leute wie Rae, Tom und ich sind in den Nachtstunden hier und bewegen sich durch die weißen Flure mit den schwarzen Fenstern wie Figuren auf einem Schachbrett.
    Als ich eine Treppe hinaufsteige, löst sich ein heftiger Schluchzer aus meiner Kehle. Ich hasse diesen Ort. Ich hasse es, wieder hierzusein. Ich hasse diese Flure, die ich in- und auswendig kenne wie die Landstraßen zu Dads Farm, für die ich keine Wegweiser brauche. Ich finde es niederschmetternd, dass ich hier so gut Bescheid weiß. Ich weiß, dass man zum Automaten im fünften Stock schneller zu Fuß kommt als mit dem Lift, der im vierten Stock proppenvoll wird mit Leuten, die zur Blutuntersuchung hier sind. Ich weiß, dass die Behindertentoilette einen Stock höher immer sauberer ist als die öffentlichen Toiletten auf unserem Stockwerk, und dass niemand etwas dagegen hat, wenn ich sie in ruhigen Zeiten benutze. Ich weiß, auf welchen Stuhl sich Rae am besten setzt, wenn wir vor dem EKG -Raum warten – wo kein Vorbeieilender an ihre Beine stößt und wir uns trotzdem den Hals nicht nach dem Monitor verrenken müssen, auf dem die Patientennummern aufgerufen werden.
    Ich finde es niederschmetternd, dass Rae meinetwegen wieder hier gelandet ist. Was ich alles unternommen habe, um sie zu beschützen – und dann habe ich eine falsche Entscheidung getroffen. Ich habe diese Frau in ihre Nähe gelassen.
    Ich marschiere zu dem Blecheimer, der als Abfallbehälter unschuldig

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