Allein die Angst
von ihr verlangt habe, mein Kind abzuholen, als ihr eigenes krank war. Und gleichzeitig habe ich Pläne gemacht, wie ich unsere Freundschaft allmählich auf Eis lege. Geschieht mir nur recht.
Plötzlich kommt mir ein Gedanke. Ich frage Suzy: »Und wo ist
sie
?«
»Wer?«
»Debs.«
»Ich weiß nicht, Cal. Es war schon irgendwie komisch: Sie hat Rae nur angestarrt, als wäre sie festgefroren. Ich weiß nicht einmal, ob sie uns gefolgt ist. Ich habe mich nur noch um Rae gekümmert.«
»Aber Suze, du hast ihr doch gesagt, dass man Rae an der Straße fest an der Hand halten muss?«
»Klar. Als wir alles am Telefon besprochen haben, habe ich es ihr extra eingeschärft. Ich … ich habe so ein Scheißgefühl. Als wäre ich an allem schuld. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil Peter kotzen musste …«
»Nein. Du bist nicht schuld. Ich bin schuld, weil ich länger in der Arbeit geblieben bin und dich in diese Situation gebracht habe.«
Suzy sieht mich an und beißt sich auf die Lippe.
»Was ist denn?«
»Ich bin erleichtert, dass du das so siehst. Aber da ist noch etwas, und du wirst deswegen bestimmt stinksauer auf mich sein.«
»Worum geht’s denn?«
»Na ja – um Tom.«
»Um Tom? Was soll das heißen?«
»Ich habe ihn angerufen.«
»Ach Suze! Warum denn das, um Himmels willen?«
»Ich weiß. Es tut mir ja so leid. Es gab diesen furchtbaren Moment, als ich dich auf dem Handy nicht erreichen konnte, und da hab ich einfach Panik gekriegt. Ich weiß doch, welche Sorgen ihr euch beide um Rae macht.«
»Dann weiß er also, was passiert ist?«
Sie sieht mich mit einem reumütigen Nicken an.
Mit einem lauten Knall fliegt die Tür zur Ambulanz auf und ein großer Mann erscheint, der die ganze Türöffnung ausfüllt. Eine Schrecksekunde lang halte ich ihn für Tom, aber der kann von Sri Lanka unmöglich so schnell hierhergekommen sein. Ich sehe noch einmal hin. Es ist Jez.
Sofort stellt sich Befangenheit ein. Jez steht mit dem Buggy da, in dem die Zwillinge schlafen; ein sichtlich müder Henry hält sich daran fest. Jez trägt einen schicken Anzug und wirkt völlig fehl am Platz zwischen den schreienden Kleinkindern und den erschöpften Eltern, die auf die Schnelle das Nächstbeste übergezogen haben, um in die Klinik zu rasen.
»Hallo, mein kleiner Schatz«, sagt Suzy. »Hallo, Honey.«
»Ich muss Pipi«, sagt Henry weinerlich, läuft zu ihr und zieht sie am Arm.
»Dann komm mit, Äffchen.« Suzy steht auf und führt Henry zu einer Tür am Ende des Wartezimmers.
Jez parkt den Buggy und kommt verlegen auf mich zu; er zieht die Augenbrauen nach unten und schürzt die Lippen, als versuche er, Mitgefühl zu zeigen.
Neugier erwacht in mir. Ich habe mir schon immer überlegt, wie Jez reagieren würde, wenn eine Frau vor ihm einen Weinkrampf bekommt. Würde dann die harte Schale aufbrechen, würde er den Arm um sie legen?
Ich richte mich auf und bemühe mich zu lächeln.
He – was mache ich denn da?
Erstaunlich. Er hat es schon wieder geschafft. Ich benehme mich, wie Jez es von mir erwartet. Höflich. Die Gefühle weggesteckt.
»Wie geht es ihr?«, fragt er mit einem Blick auf Rae. Ich frage mich, was er wohl denkt.
»Nach Ansicht des Personals hier fehlt ihr nichts – jetzt warten wir auf den Facharzt.«
Ich schweige. Und bin gespannt, was er als Nächstes sagt.
Jez räuspert sich.
»Mein Vater kennt den Klinikleiter. Ich werde ihn bitten, sich einzuschalten.«
»Danke«, sage ich und sehe zu Suzy hinüber, die eben mit Henry die Toilette verlässt.
Jez folgt meinem Blick. Das ist doch der Hammer! Am liebsten hätte ich aufgelacht. Statt mich in den Arm zu nehmen, statt etwas zu
tun
, bietet er mir an, seine Beziehungen spielen zu lassen.
»Tut mir leid, dass du noch so spät mit den Kindern raus musstest«, sage ich. Wieder beiße ich mir auf die Zunge. Was rede ich denn da? Warum entschuldige ich mich?
»Cal, möchtest du, dass ich noch bleibe?«, fragt Suzy, als sie mit einem halb schlafenden Henry auf dem Arm zurückkommt. Wir wissen beide, dass das Angebot nicht ernst gemeint ist. Jez würde wahrscheinlich auf der Stelle zusammenbrechen bei der Aussicht, die drei Jungs allein ins Bett zu bringen.
»Nein, geh ruhig. Wirklich. Das kann hier noch Stunden dauern.«
»Na gut. Ich ruf dich später an.«
Sie umarmt mich, und Jez ringt sich ein halbes Lächeln ab. Dann verschwinden sie durch eine große weiße Tür in die Freiheit, weg von diesem
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