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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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Tischplatte.
    »Nicht sehr gut, fürchte ich. Es ist etwas sehr Schlimmes passiert.«
    Allen sah sie besorgt an und kaute unablässig auf demselben Stück Fleisch herum.

Kapitel 20 Callie
    »Sie ist da drüben.«
    Und schon eile ich mit langen Schritten durch die Sicherheitstür, an Suzy vorbei zu Rae, die in der Kinderstation der Ambulanz von Northmore sitzt und fernsieht, eine Decke über dem Schoß. Wir sind so oft hier gewesen, dass ich schon weiß, was mich erwartet. Abgestandene Luft. Grelle, in den Augen schmerzende Neonröhren. Schmuddliges Spielzeug, verteilt auf dem nach Desinfektionsmittel riechenden Boden. Eine Putzfrau, die gelbliche Flüssigkeit wegwischt.
    »Mummy«, sagt Rae leise und deutet auf den Fernseher. »Den Film hat Henry auch.«
    »Hi, Sweetheart.« Ich nehme ihr Gesicht fest zwischen meine Hände und prüfe es Zentimeter um Zentimeter nach meiner inneren Checkliste. Lippen – rosa, ein bisschen blass. Haut ebenfalls blass, aber nicht ungewöhnlich. Augen … in Ordnung. Sogar seltsam strahlend. Atmung normal.
    »Ist sie schon untersucht worden?«, rufe ich zu Suzy hinüber, ohne mich um die neugierigen Blicke der anderen wartenden Eltern zu kümmern.
    »Ja, Honey. Sie haben ihr Bein angesehen, und sie haben den Blutdruck und den Puls gemessen. Der Kardiologe kommt, sobald er kann.«
    »Zeig mir dein Bein, Rae«, fordere ich sie auf und fege die Decke weg. Suzy hat schon ein großes Pu-der-Bär-Pflaster auf die Wunde geklebt. Rae streckt mir ihre Handflächen entgegen, um mir ihre blutigen Kratzer und Schrammen zu zeigen.
    Das unschuldige Kinderpflaster bringt mich in Rage. Für mich gibt es bei Rae keine harmlosen kleinen Verletzungen.
    »Wie geht’s dir?«, blaffe ich sie an.
    Halt sie fest an der Hand, habe ich vor vierundzwanzig Stunden zu Suzy gesagt. Halt sie fest an der Hand, wenn ihr an der Straße entlanggeht.
    Rae fährt ein wenig zusammen, so fremd klingt meine Stimme. Sie blickt zu Suzy hoch, dann wieder zu mir.
    »Gut?«, sagt sie, als ließe sie einen Versuchsballon steigen.
    »Nichts Komisches beim Atmen? Keine Schmerzen?«
    »Nein!«, antwortet sie genervt. »Das hat mich die Frau schon alles gefragt.«
    Ich sehe Suzy an. Sie wirft mir einen verständnisvollen Blick zu.
    »Soll ich die Krankenschwester holen?«
    Ich wende mich von ihr ab. Suzy wartet einen Moment.
    »Honey? Ich habe dich gefragt, ob ich die Schwester holen soll.«
    »Nein.«
    Sie zögert und nimmt dann einen neuen Anlauf.
    »Sicher?«
    »Ich werde mit ihr sprechen, wenn ich so weit bin.«
    Einen Augenblick lang lastet eine schwere Stille zwischen uns. Rae sieht erst mich an, dann Suzy. Sie setzt zu einem Lächeln an, verbeißt es sich aber gleich wieder, kaut nervös auf ihrer Lippe.
    »Na, du weißt sicher am besten, was du brauchst.« Suzy geht zur Tür. »Wisst ihr, was? Ich lasse euch zwei Mädels mal ein paar Minuten allein.«
    Ich nicke wie betäubt und will schon den Arm um Rae legen, als sie aufsteht. Sie hinkt zu dem Kind mit der Augenklappe hinüber, setzt sich daneben und guckt wieder in den Fernseher. Ein kleines Kind läuft vorbei und drischt auf ein Tamburin ein. Jedes Scheppern will mir die Schläfen zertrümmern. »Rae?«, rufe ich leise.
    Ihr Blick klebt am Bildschirm.
     
    Wie oft habe ich Suzy von Raes schlechtem Koordinationsvermögen erzählt?
    Ich beiße auf dem Daumennagel herum. Sie hätte Rae an der Hand halten sollen.
    Aus den Augenwinkeln sehe ich die Sicherheitstür wieder aufgehen und eine große Gestalt mit zwei Kaffeebechern hereinkommen.
    Suzy bleibt kurz stehen. Zögernd stellt sie einen Fuß vor den Plastikstuhl neben mir, als wollte sie prüfen, wie kalt das Wasser ist. Dann zieht sie den anderen Fuß nach. Sie setzt sich langsam und reicht mir einen Kaffeebecher. Jetzt merke ich, dass ich den ganzen Tag außer dem Sandwich nichts gegessen habe. Bei dem heißen, säuerlichen Kaffeegeruch dreht sich mir der Magen um. Suzy stellt ihren Becher auf den Boden, dann tippt sie behutsam auf meinen kleinen Finger, der auf meinem Knie ruht. Sie legt ihre Hand darauf und sieht mich an.
    »Suze«, flüstere ich und ziehe unwillkürlich die Hand weg, bevor ich mich beherrschen kann. »Tut mir leid. Aber was genau ist passiert?«
    Sie greift wieder nach meiner Hand und lehnt sich behutsam an mich.
    »Honey?« Sie klingt verletzt. »Was ist denn los mit dir?«
    »Na ja – ich dachte, du hättest begriffen, wie leicht Rae stürzen kann. Ich habe das Gefühl, ich hätte es dir

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