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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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unerwartet, dass ich mich zusammenreißen muss, um nicht hinzustarren.
    »Sieht so aus, als wäre alles in Ordnung«, sagt er. »Wir schicken sie sicherheitshalber zum Kernspin und machen ein EKG , dann kann sie nach Hause.«
    Ich starre ihn an. Sehe, wie es in seinem Gesicht zuckt. Dr. Khan und ich sind uns schon einige Mal so gegenübergestanden, er weiß, was jetzt kommt.
    »Hm«, sage ich. »Allein die Angst, es könnte …«
    Er presst die Lippen zusammen. »Jetzt geht das wieder los«, scheint sein Mund zu sagen. Dr. Khan verbringt viel Zeit damit, Eltern von Kindern mit Aortenstenose zu beruhigen, dass es ihrem Liebling in den allermeisten Fällen ein Leben lang gutgehen wird.
    Er nickt. »Gut. Dann warten wir noch die Ergebnisse der Untersuchungen ab.«
    »Aber …«, setze ich wieder an. Ich hasse es, wenn meine Angst mit mir durchgeht. Wenn sie unbeherrschbar wird. »Tut mir leid. Könnte sie vielleicht in der Klinik bleiben? Nur über Nacht, für den Fall, dass doch etwas ist? Ich habe einfach solche Angst, dass …«
    Er schweigt kurz und klopft mir dann auf die Schulter. »Dann treiben wir eben ein Bett für sie auf.«
    Ich nicke beschämt und unterdrücke den Impuls, ihn zu umarmen.
     
    Rae ist nach den Untersuchungen so müde, dass sie sich in dem Zimmer, das die Schwestern auf der Kinderstation für sie frei gemacht haben, tief ins Kissen kuschelt und gleich einschläft, während ich auf dem ausziehbaren Elternbett neben ihr liege und ihr mit dem Finger über die Wange streiche. Aus dem Heizkörper bullert auch an diesem warmen Abend Hitze in den Raum. Wenn man die Augen zukneift, könnte man glauben, dass man in einem Hotelzimmer ist. Einem gemütlichen kleinen Hotelzimmer. Bis auf die Schläuche und Masken an den Wänden, bereit für den nächsten Notfall, bis auf das heftige Gebrüll zweier Babys weiter unten am Gang, bis auf den Fernseher, der aus dem Zimmer gegenüber herüberschallt, wo ich vorhin eine in Tränen aufgelöste, sehr hilfsbedürftig wirkende Mutter sitzen sah.
    Eine Schwester kommt mit einer Decke herein.
    »Hi!«, flüstert sie und winkt mir fröhlich zu. »Wie macht sie sich? Erinnern Sie sich? Ich bin Kaye.«
    Ich nicke lächelnd und versuche mir den Anschein zu geben, als freute ich mich über das Wiedersehen. Es ist ja nicht so, dass ich die Schwestern nicht zu schätzen wusste, die sich viel Mühe gegeben hatten, um Rae, Tom und mich bei Raes großer OP aufzuheitern. Aber jetzt wäre es mir am liebsten, ich hätte Kaye noch nie im Leben gesehen und wüsste nicht, wie sie heißt. Wir leben jetzt draußen, in der normalen Welt.
    »Und wie geht’s Ihnen selber?«, fragt sie behutsam und fasst mich an der Schulter. Ich nicke nur. Plötzlich bin ich sehr müde und fange an zu frieren.
    »Ist Ihr Mann auch da?« Sie sieht sich im Zimmer um. Die Schwestern waren ganz vernarrt in Tom gewesen, weil er sich an ihre Namen erinnerte und sie gnadenlos aufzog.
    »Wir sind nicht verheiratet.«
    »Na, dann schnappen Sie ihn sich lieber, bevor es eine von uns versucht!« Sie kichert. Ich weiß, dass sie mich nur zum Schmunzeln bringen will, aber als sie hinausgeht, um uns ein Glas Wasser zu holen, bin ich erleichtert.
     
    Ich sehe Rae eine Weile beim Schlafen zu, dann stehe ich leise auf und schleiche aus dem Zimmer. Ich muss etwas erledigen, was ich nicht länger vor mir herschieben kann. Auf Zehenspitzen gehe ich zum Stationszimmer und bitte darum, das Telefon benutzen zu dürfen.
    Um hinauszuzögern, wovor mir so graut, überlege ich kurz, ob ich Dad anrufen soll, entscheide mich dann aber dagegen. Er würde nur in Panik ausbrechen und mir anbieten, sofort herzukommen, und das darf ich ihm nicht antun. Schließlich wissen alle Bauernkinder aus unserer Gegend, dass es unter unseren Feldern keinen Untergrund aus Fels oder Steinen gibt. Wenn Dad seine Frühkartoffelernte diese Woche nicht einbringt, könnte der Frühsommerregen den Boden so durchweichen, dass der Traktor buchstäblich darin versinkt.
    Stattdessen spreche ich Tom auf die Mailbox, er brauche nicht zu kommen, denn Rae gehe es gut. Dass Tom anrückt und auf mich einhackt, wäre das Letzte, was ich jetzt verkraften könnte.
    Und dann erledige ich endlich den Anruf, vor dem ich mich so lange gedrückt habe.
    »Guy«, sage ich, als sich die Mailbox seines Handys einschaltet, »ich hoffe, du kriegst diese Nachricht noch heute Abend – ich bin’s, Callie. Es tut mir wirklich leid, aber meine kleine Tochter hatte heute einen

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