Allein in der Wildnis
Angst, die die Schneestürme bringen. Fast jeder Einheimische, mit dem ich gesprochen habe, gibt diesen leichten Herbstkoller zu. Er gehört zu den psychologischen Eigenarten der Adirondacker. Die Gänse verursachen diese merkwürdige Depression, wenn sie südwärts ziehen, und heilen uns, wenn sie wiederkommen. Dazwischen versuchen wir, mit dem Winter fertigzuwerden, jeder auf seine Weise.
Sobald die Sonne am Nachmittag an Kraft verliert, beginne ich mit dem Holzmachen für den Winter. Zehn bis fünfzehn Klafter braucht der Franklin-Ofen. Kettensäge und Ohrenschützer in der Hand, streife ich durch den Wald, bis ich einen abgestorbenen Laubbaum finde. Am besten ist Gelbbirke; sie hat den höchsten Heizwert aller Adirondack-Bäume und verbreitet einen herrlich holzigen Duft. Finde ich keine Gelbbirke, nehme ich einen Zuckerahorn oder eine Buche. Und ist auch davon nichts Brauchbares vorhanden, fälle ich eine dürre Rottanne; allerdings verharzt deren Holz leicht das Ofenrohr. Gibt es überhaupt keine toten Bäume, muß ich lebendige fällen und das Holz ein Jahr ablagern, ehe es brenntauglich ist.
An einem frischen Herbstnachmittag gibt es keine schönere Arbeit im Freien als Holzsägen und — hacken. Das aufgeregte Knattern der Motorsäge — die frischen Scheite, die sich im Farn stapeln — das Gewicht meiner treuen Axt — die Klinge, wie sie in geradegemasertes Holz fährt — das besondere »Peng« beim Auseinanderspringen der Klötze — all das ruft in mir ein echtes Holzhacker-Gefühl hervor! Nach wenigen Minuten gerate ich in Schweiß und mache mich frei bis auf ein leichtes Hemd oder einen BH. Am Ende des Tages bringe ich vielleicht die Courage für einen reinigenden, kühlenden Sprung in den See auf. An diesem Abend werden meine Muskeln schmerzen und meine Finger kribbeln, aber ich werde tief schlafen.
Das Schwerste am Holzmachen ist der Transport der Scheite zum Holzschuppen. Für einen Handwagen, geschweige denn Pferdewagen ist der Wald zu dicht, der Boden zu uneben. Mich auf einen Brauch der Maya-Indianer in Guatemala besinnend, befördere ich mein Holz mit einem Tragegurt. Fünf bis acht Scheite staple ich sauber aufeinander, schlinge den Gurt darum und werfe sie mir auf den Rücken. Der pferdelederne Kopfriemen paßt bequem um meine Stirn. So arbeiten die Nackenmuskeln mit und entlasten Rücken und Schultern. Mit diesem Tragegurt kann ich fast zweimal soviele Scheite transportieren wie auf meinen Armen.
Mit großer Befriedigung sehe ich meinen Holzstoß wachsen. Jeder neue Klotz bedeutet Stunden voller Wärme und Behaglichkeit. Das Holzschlagen ist eine hausgemachte Versicherung gegen die Winterkälte, kostet nichts und bringt willkommenes körperliches Training. Oft denke ich an meine Freundinnen, die in der Stadt wohnen. Sie sind schlank und attraktiv, aber beim Treppensteigen geraten sie ins Keuchen, und ihre Arme und Oberschenkel sehen schlaff und unmuskulös aus. Auch dies ein Lohn des Holzhackens: Man braucht sich nicht in enge Gürtel zu schnüren. Auch Wut und Angst lassen sich beim Holzhacken sehr wirksam abreagieren. Jeder Axthieb läßt sich zum Enthaupten eines Feindes, zum Faustschlag ins Gesicht des Steuerkommissars sublimieren.
Nicht nur ums Feuerholz, sondern auch ums Gegenteil muß ich mir Gedanken machen — um Brandverhütung. Zweieinhalb Kilometer von der nächsten Straße entfernt zu leben heißt, daß im Ernstfall kein Feuerwehrwagen zu mir gelangen kann. Feuerlöschboote gibt es auf unserem See natürlich auch nicht. Regelmäßig prüfe und fülle ich daher alle Feuerlöscher — Schaum-, Wasser- und Chemikalienlöscher — und halte in der Hütte stets vier Eimer Wasser griffbereit. Hinter dem Franklin-Ofen schützt Isoliermaterial die Wand. Auch das Ofenrohr ist gut isoliert. Am größten ist die Feuergefahr natürlich im Winter, weil dann der Ofen durchgehend brennt und die Wasserpumpe entleert und nutzlos ist. Halbmeterdickes Eis bedeckt den See, und nur ein einziges Loch, täglich mit der Axt neu aufgehackt, ermöglicht den Zugang zum kostbaren Löschwasser. Zwischen der Seevereisung im November und dem Tauwetter im April steigert sich meine Feuerangst fast bis zum Wahnsinn.
Im Herbst rücken die Einheimischen näher zueinander. Die Kameraderie wird enger, wenn der Ruf der Wildgänse und der klagende Wind uns daran erinnern, wie spärlich besiedelt unsere Berge sind. Tatsächlich haben nur 125 000 Menschen ihren amtlich registrierten Dauerwohnsitz in den
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