Allein in der Wildnis
Fundamentpfählen zu befestigen, sie einzuschmieren und die Heber und Winden aufzustellen; einen vierten Tag, um Hüttenwände, Fenster und Dachkanten mit aufgenagelten Kreuzbalken zu verstärken, damit sie sich nicht verzogen; und einen fünften Tag, um die Hütte zu versetzen.
»Heute ist’s soweit!« grinste Sven schelmisch und tupfte mir Wagenschmiere auf die Nase. »Paß auf, sie flutscht über die Bahn wie die Schlange über einen heißen Stein. Wirst’s sehen.« Er und Brian packten ihre Windenkurbeln und fingen zu drehen an.
Wie ein Vogel Strauß hockte ich während des ganzen Verschubs in der Hütte. Draußen zu sein mit den Männern hätte ich nicht ertragen: das Angespanntsein wie die zitternden Drahtseile, das Horchen auf jedes Knarren und Quietschen, die Erwartung, die Pfähle unter dem Gewicht knicken zu sehen. Aber auch drinnen hatte ich Angst, die Scheiben würden zerspringen oder das Dach falle mir auf den Kopf.
Zentimeter für Zentimeter arbeitete sich die Hütte über die Gleitbäume; acht Stunden brauchte sie für die Strecke von 3,80 Meter (die zusätzlichen fünfzehn Zentimeter waren zur Sicherheit). Alles ging — im doppelten Sinn — glatt. Nichts riß, brach oder kippte, niemand wurde verletzt.
Nun stand mein Heim stelzbeinig im Wald wie ein Sumpfvogel, so hoch, daß darunter, nach Legen des Fußbodens, Platz für einen Keller mit schmalem Gästezimmer, kleinem Souterrain und Rumpelkammer war. Meine lange Zeit zweckentfremdete Badewanne fand einen Aufstellort und einen Gefährten. Sie wurde in eine Ecke des Souterrains gequetscht und an einen Gasboiler angeschlossen. Mein Lebensstil wurde weniger spartanisch. Aber — so entschuldigte ich mich in Gedanken — wie herrlich würde es sein, nach schwerer Aufräumarbeit dann an frostigen Abenden heiß baden zu können. Die ursprünglichen Fundamente und der Fußboden der Hütte saßen noch intakt am alten Platz. Im nächsten Sommer konnte ich sie zu einem Sonnendeck umwandeln, gesäumt von rohgezimmerten Blumenkästen. All dieser zusätzliche Raum erwies sich als unbezahlbar, war jedoch infolge der seelischen und körperlichen Strapazen teuer erkauft.
In meinem Archiv liegt von besagtem Rechtsanwalt ein Brief. Darin bestätigt er mir, daß mein Zuhause nunmehr der Klausel entspreche, die so unerbittlich ihr Recht gefordert hatte — 15,25 Meter vom Seeufer. Er muß heimlich dagewesen sein und nachgemessen haben. Wäre er mir dabei in die Hände geraten, hätte ich ihn mit Fritierfett und Wagenschmiere eingerieben und an einen der neuen Baumstümpfe gefesselt, als Fraß für die Bären oder für die Kriebelmücken. Welche Tierchen ihn verzehrt hätten, wäre mir egal gewesen !
Zum zweitenmal war meine Hütte bezugsfertig.
3
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Herbstpracht
Im Herbst zeigen sich die Adirondacks von ihrer prächtigsten Seite. Anfang September ebbt die Geräusch- und Bewegungsflut des Sommers — Außenbordmotoren, Wasserflugzeuge, Wasserskiläufer, Touristenverkehr, Kanufahrer, Wanderer, Sonnenhungrige, Schwimmer — abrupt ab; die meisten der neun Millionen Gäste, die übers Jahr kommen, drängen sich in den kurzen Sommermonaten zwischen Anfang Juli und Anfang September. Dann kehrt zwischen Bergen und Seen Ruhe ein, und die Tiere wagen sich wieder hervor.
An einem nebligen Morgen im September kann ich zum See hinuntergehen und auf dem Anleger feuchte Pfotenspuren und Fetzen von Wasserpflanzen finden. Dreißig Meter draußen spielt vielleicht ein Otterpärchen. Zuerst sehe ich einen glatten Rückenbuckel, dann einen gebogenen Schwanz, dann zwei runde Ohren und helle Augen — nein, vier — nein, sechs. Wie ein einziges sechs Meter langes Tier mit zwei Köpfen sieht es aus. Wo fängt es an und hört es auf? Hat sich das Ungeheuer von Loch Ness in die Adirondacks verirrt? Nebel, in der Morgenbrise treibend, verschleiert die Otter für einen Augenblick. Dann teilt er sich, und ich sehe die drei Tiere behende auf die Felsen vor meiner Bucht springen, jedes mit einem Katzenwels im Maul. In der Stille höre ich Fischgräten knirschen. Nach beendetem Frühstück gleiten die Otter in den See zurück, zu weiteren Loch-Ness-Spielen.
Am frühen Abend kommen die Biber zum Vorschein, die sich nicht mehr in der Uferdeckung vor Motorbooten verstecken müssen. Gegen sechs schwimmt ein großes Männchen nonchalant an meinem Anleger vorbei. Ich versuche, den Zeitpunkt abzupassen, um es still zu beobachten. Ein glatter Wellenkeil breitet sich von seinem
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