Constantine
1
»In der Regel stelle ich keine Diebe als Sicherheitsexperten ein.« Lucy Sharpe hielt dem kühlen Blick aus blauen Augen stand. Unfassbar, dass dieser Mann noch einmal bei Bullet Catcher vorsprach, nachdem sie ihn in Schimpf und Schande entlassen hatte.
»Ausnahmen bestätigen die Regel.« Constantine Xenakis schlenderte durch den Raum und ließ sich auf der anderen Seite von Lucys Bibliothek auf einen antiken Stuhl sinken, den sonst kaum ein Mann benutzte; das zierliche Möbel wirkte unter seinem groß gewachsenen, austrainierten Körper, als würde es gleich zusammenbrechen – doch Con schien vollkommen zufrieden mit seiner Sitzgelegenheit. »Feste Gewohnheiten kann man brechen, ist auch nicht schwerer als Schlösser knacken.«
»Dan Gallagher hat schon erwähnt, dass dein Selbstbewusstsein nicht gelitten hat.«
»Wenn ich mich recht entsinne, ist ein gesundes Selbstbewusstsein durchaus hilfreich für diesen Job.« Der Anflug eines Lächelns erhellte seine finstere Miene.
»Durchaus«, stimmte Lucy zu. »Aber zunächst einmal vielen Dank für deine Unterstützung in dem Entführungsfall in Miami. Das Beweisstück, das du gefunden hast, war ein Schlüssel zur Lösung des Falles; damit hast du mehreren Menschen das Leben gerettet, unter anderem Dans Sohn. Dafür bin ich dir sehr dankbar.«
Sein Lächeln verstärkte sich, und seine strahlend weißen Zähne hoben sich gegen seine olivbraune Haut ab. »Ich musste mir etwas ausdenken, um in die Gemächer hier wieder eingelassen zu werden, Luce.«
»Du hättest anrufen können.« Sie nickte in Richtung des Blackberrys auf ihrem Schreibtisch. »Die Nummer hat sich in den letzten sechs Jahren nicht geändert.«
»Als ob du meinen Anruf angenommen hättest.«
Möglicherweise schon. »Ich habe versucht, dich zu finden, nachdem die Wahrheit über die Diamantenlieferung herausgekommen war, Con. Damit warst du vollkommen entlastet, und ich wollte dir sagen, dass ich mich geirrt hatte.«
»Du warst anscheinend nicht besonders gründlich – normalerweise findest du immer, wen du suchst, ganz gleich, wie sehr sich derjenige zu verbergen versucht.«
»Das stimmt«, räumte sie ein. »Zu der Zeit hattest du aber bereits eine neue Laufbahn eingeschlagen, die mir gar nicht gefiel. Die mir übrigens immer noch nicht gefällt.«
»Ebenso wenig wie mir«, sagte er leise. »Genau deshalb bin ich hier.«
Sie hob eine Braue. »Nachdem du sechs Jahre lang Firmengeheimnisse, kostbaren Schmuck und ungezählte Kunstwerke gestohlen hast, hast du auf einmal ein Gewissen?«
Seine gereizte Reaktion zeigte ihr, dass sie seinen wunden Punkt gefunden hatte. »Lass mich das bitte klarstellen. Ich habe überhaupt nichts gestohlen. Ich habe nie irgendetwas für mich selbst behalten. Ich war nur als Vermittler tätig, zwischen den reichen Sammlern und den Leuten, die begehrte Sammlerobjekte hatten.«
Lucy schmunzelte. »Für Stehlen habe ich schon alle möglichen Umschreibungen gehört – aber diese hier ist wirklich besonders gelungen.«
»Glaub, was du willst, Lucy, aber ich hatte kein Interesse an dem Zeug, das ich gestohlen habe. Ich habe einfach nur meine angeborenen Talente eingesetzt, die ich als Jugendlicher leider allzu gut trainieren musste.«
»Die Zeiten sind aber weiß Gott lange vorbei. Mindestens zwanzig Jahre.«
»Du erinnerst dich bestimmt«, fuhr er leise, aber voller Bedacht fort, »dass die Leute eh immer automatisch gedacht haben, dass ich meine besonderen Fähigkeiten einsetze – einfach nur, weil ich sie habe.«
Es war definitiv sein wunder Punkt. Das würde den Auftrag, den sie ihm anbieten wollte, umso schwieriger für ihn machen. »Ich bin davon ausgegangen, dass du die Diamanten behalten hast, weil sie unter deiner Aufsicht verschwanden. Du hast nie versucht, mich vom Gegenteil zu überzeugen.«
Zum ersten Mal bewegte er sich auf seinem Puppenstühlchen. »Du hattest mich engagiert, Lucy. Hast du etwa deinem eigenen Urteil nicht getraut? Gilt bei dir die Devise: Der Kunde hat immer recht? Hätte ich vielleicht hierherkommen sollen, um mich zu rechtfertigen?«
»Wenn dir wirklich daran gelegen gewesen wäre, bei Bullet Catcher zu bleiben, wäre das keine schlechte Idee gewesen.« Stattdessen hatte er sie auf die Probe gestellt – und sie hatten dabei beide den Kürzeren gezogen.
»Und nein, der Kunde hat nicht immer recht. Ebenso wenig wie ich. Man kann mit mir reden, Con. Es gab keinen Grund, in den Untergrund zu gehen und ein professioneller Dieb
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