Allein in der Wildnis
anschließend so, wie sie waren, kraftlos und müde in ihre Betten. Alles um sie herum blieb stehen und liegen.
Lautes Vogelgezwitscher weckte die Familie am nächsten Morgen. Der Hund kratzte bereits an der Tür, denn er musste unbedingt hinaus. Voller Tatendrang erhoben sich die Drei. „Mit Frühstück fängt der Tag gut an“, summte der Vater vergnügt vor sich hin. Später wurden die Kisten und Koffer ausgeräumt. Der Vater zeigte seinen Söhnen die Berghütte, in der sie das nächste halbe Jahr verbringen würden, den Vorratsraum und die nähere Umgebung. Vollkommen aus Holz errichtet und eingepasst in das weite Tal war die Hütte von hohen Bäumen und niedrigen Sträuchern umgeben. In der Ferne waren die Berge zu sehen. Ein malerischer Anblick.
Die Jungen staunten darüber, wie geräumig die Hütte war. Erleichtert räumten sie ihr Zimmer ein und überzogen ihre Betten.
Dabei meinte Tim zu Kevin: „Vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm mit der Einsamkeit und es gefällt uns hier.“
Kevin nickte nur und sagte nichts. Seine Hände zitterten.
Auch der Hund bezog seinen Platz in der Hütte und schaute die Menschen um sich herum mit großen Augen an.
Der Anfang war nicht leicht. Ihnen fehlte der Komfort von zu Hause. Dann die Stille um sie herum, nur unterbrochen vom Heulen der Kojoten und Wölfe, war gespenstisch. Kein Autolärm, kein Geschrei. Dazu fehlte ihnen der Luxus von Spülmaschine und Co. Strom gab es auch, aber die Heizung funktionierte nicht so gut, echte Wärme kam nur mit Holzfeuerung zustande. Die einzige Annehmlichkeit weit und breit war das warme Wasser. Die mitgebrachten Lebensmittel wurden in einer kleinen Vorratskammer eingelagert. Es war mehr ein geräumiger Naturkeller unter der Erde. Dort blieben die Lebensmittel auch ohne Strom lange haltbar. Es gab zwar noch weitere Stationen, die waren aber alle weit entfernt. Notfalls konnte man immer noch dahin fahren , dachte sich Nick. Schließlich war er dieses Jahr nicht allein in der Hütte.
„Gemeinsam sind wir stark“, so die Redewendung ihres Vaters, wenn die Kinder wieder einmal keinen Bock hatten. Denn die Jungen mussten lernen zu kochen und Brot zu backen. Ein alter Kohleherd mit Backofen stellte eine große Herausforderung dar. Nick war geübt, denn er war viele Monate im Jahr für das Umweltamt unterwegs. Die Wäsche selbst zu waschen war eine mühevolle Arbeit, denn manchmal setzte der Strom aus. Selbst das Spülen von dem Geschirr artete am Anfang in Streitigkeiten aus. Tim und Kevin maulten, denn diese Tätigkeiten brauchten sie zu Hause nicht zu leisten. „Ordnung ist das halbe Leben“, zitierte ihr Vater dauernd. Lautes Murren der Kinder war dann die Folge. Aber hier gab es keine Mutter, die den Haushalt führte. Streitigkeiten waren an der Tagesordnung. Immer wieder musste Nick sich deswegen mit seinen Söhnen auseinandersetzen. Dazu fehlte Nick die Erfahrung mit dem Umgang seiner Kinder. Er hatte sich vieles leichter vorgestellt. Immer wieder bekam er zu hören: „Bei unserer Mutter durften wir das. Bei Mutter brauchten wir das aber nicht. Mutter hat das aber so gemacht!“
Genervt schrie er sie eines Tages an: „Eure Mutter ist aber nicht hier. Ihr seid mit mir allein in der Wildnis. Wann kapiert ihr das?“
Und von da an besserte sich das Verhältnis zwischen den Jungen und ihrem Vater zusehends. Sie waren auf sich allein gestellt, nur gemeinsam konnten sie der Natur die Stirn bieten.
„Warum wohnst du nicht in der Nähe der Hotels?“, fragte Tim eines Tages seinen Vater. „Dann bist du nicht so einsam.“
Nick lächelte. „Aber dann untersuche ich nicht die Natur, sondern das Treiben der Touristen. Fernab von den Menschen zu sein, das ist doch gerade wichtig. Tiere verhalten sich fern der Zivilisation völlig anders. Nur hier kann ich meine Forschungen anstellen“, erläuterte er seinem Sohn. „Aber da gibt es auch Hütten, gleichzeitig sollen die sogar richtig komfortabel sein“, schwatzte Tim. „Ja, aber auch Schwärme von Touristen. Das ist doch alles zusammen, die Hotels und die Hütten“, erwiderte Nick. Aber wir fahren einmal dahin, damit wir eine Verbindung zu eurer Mutter herstellen können. Sie soll sich ja keine Sorgen um euch machen.“
„Oh ja“, frohlockte Kevin. „Ich habe ihr viel zu erzählen“, meinte er. Dann fragte er seinen Vater: „Was genau forschst du eigentlich?“
Sein Vater schmunzelte. „Ich würde sagen: gegenseitige Beeinflussung von Lebewesen und
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