Allein in der Wildnis
dagegen.“
Seine Mutter schüttelte den Kopf: „Nein!“
Hoffnungsvoll fragte nun Kevin: „Was ist mit unserer Schule?“
„Es ist alles geklärt, ihr bekommt alles mit, was ihr zum Lernen benötigt.“
Tim überlegte fieberhaft. Irgendetwas musste ihm indessen einfallen. „Wir könnten bei Oma und Opa wohnen“, schlug er vor.
„Nein, euer Vater hat auch das Sorgerecht. Er möchte seit der Scheidung schon, dass ihr auch einmal bei ihm wohnt. Außerdem ist er froh, dass er endlich viel Zeit mit euch verbringen kann.“
„Aber wir nicht! Er kümmert sich sonst auch nicht um uns“, schrie Tim aufgebracht. „Werd ja nicht frech!“, entgegnete die Mutter nun ebenfalls etwas lauter. „Ich kann dir auch in deinem Alter noch ein paar hinter die Löffel geben.“
Beide funkelten sich wütend an. Tim stand frustriert auf, sodass sein Stuhl umkippte, und stürzte in sein Zimmer. Die Tür flog krachend ins Schloss. Kevin dagegen saß zusammengesunken auf seinem Stuhl. Das war nicht nett von Tim , dachte er sich. Nervös spielte er mit seinen Händen unter dem Tisch.
Die gleiche Diskussion wurde am nächsten Morgen beim Frühstück weitergeführt. Die beiden Jungen konnten jammern, solange sie wollten, es hatte keinen Zweck. Ihre Mutter ließ sich nicht umstimmen. Stirnrunzelnd saß Tim auf seinem Stuhl. Er verschränkte seine Arme und äußerte: „Aber was sollen wir dort die ganze Zeit machen? Hier ist Los Angeles, da pulsiert das Leben. Vergleiche mal Santa Monica mit einer Hütte im Grünen“, schrie Tim aufgebracht. „Ich habe kein Internet. Was ist mit meinem Sport? Was kann man außerdem schon unternehmen in einem Nationalpark? Da ist doch nichts, und da gibt es nichts, rein gar nichts weit und breit! Nur Tiere, Pflanzen und Bäume. Was sollen wir da?“, rief Tim wütend. Frustriert stampfte er unter dem Tisch mit dem Fuß auf.
„Wir dürfen aber auch gar nichts“, maulte er.
„Das stimmt“, bemerkte Kevin. „Wir bekommen keinen Hund, nicht mal eine Katze.“
„Jetzt fangt nicht wieder mit diesem Thema an. Haustiere benötigen Zeit. Ihr seid immer nur unterwegs. Was sollen wir mit einem Tier?“, sagte die Mutter genervt. „Jetzt wird auch nicht mehr diskutiert!“
Tim verließ wütend die Küche. „Was für ein beschissener Tag“, rief er beim Hinausgehen. Seine Mutter ging ihm nach, doch er verschloss die Tür zu seinem Zimmer und drehte anschließend wieder die Musikanlage auf. Kristin klopfte, aber ihr Sohn öffnete nicht mehr.
Erforschung von Natur, Umwelt und Klimawandel im Nationalpark, so hatte ihr Vater ihnen seine Aufgaben vor Ort beschrieben. Das reizte Tim wenig. „Für unseren Bücherwurm ist das ja was anderes“, meinte er mit einem Seitenblick auf seinen Bruder. Für Kevin war das tatsächlich eine Herausforderung, ihm machte jedoch die lange Zeitspanne zu schaffen. Mit seinem Freund Jonas hatte er eigentlich ein neues Projekt geplant, denn der hatte zum Geburtstag ein kleines Labor geschenkt bekommen. Also konnte Kevin nun unmöglich ein halbes Jahr weg sein.
Die Jungen machten in den nächsten Tagen regelrechte Aufstände zu Hause, aber es nützte nichts. Sie mussten mit ins Niemandsland, wie Tim es nannte. Sechs Monate sollten sie nur von Natur und Tieren umgeben sein. Kein Kontakt zu anderen Menschen und gleich gar nicht zu anderen Jugendlichen. Es sei denn, es verirrte sich mal jemand zu ihnen.
Tim und Kevin packten schweren Herzens ihre Sachen und machten sich bereit für ein „großes Abenteuer“, wie ihr Vater es am Telefon genannt hatte. Gegen die Natur an sich hatten sie ja gar nichts einzuwenden, aber derart zurückgezogen zu leben, dafür waren sie einfach zu jung. Sie wollten Spaß haben und ihre Freunde treffen. Außerdem konnte man nicht einfach Los Angeles gegen einen Naturpark eintauschen. Aber es half kein Bitten und kein Flehen. Tim verabschiedete sich von seinen Freunden in der Schule. Es hatte sich in seiner Klasse herumgesprochen. Carolin war beeindruckt von dem Mut, einige Monate in die Wildnis zu gehen. Sie wartete vor dem Eingang auf Tim. Als er aus der Schule trat, hielt sie ihn am Arm fest. Tim war erstaunt und tiefe Röte überzog sein Gesicht. Seine Stimme drohte vor Verlegenheit zu versagen. „Ich habe hier etwas für dich“, erklärte sie ihm. Sie hob die Hand und übergab ihm ein Geschenk. „Das wirst du sicherlich gebrauchen können: ein Buch über den Nationalpark in Yellowstone.“ Tim schluckte und bedankte sich bei
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