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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Paulsen
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sollte. Wie sollte er den Vogel braten? Mit den Fischen, ja da war es leichter gewesen. Er hatte sie einfach auf einen Stock gespießt, über dem Feuer knusprig gebraten und dann mit den Fingern das zarte Fleisch von den Gräten gelöst.
    Jetzt war es nicht mehr so einfach. Er musste den Vogel rupfen und ausnehmen. So viel wusste er. Anders als damals zu Hause, in Mutters Küche. Damals gingen sie in den Laden und kauften eines der sauber in Folie verpackten Hühnchen. Die Mutter brauchte es nur noch in den Backofen zu schieben – und stellte es dann köstlich duftend auf den Tisch. Ach, das war damals gewesen, in einer längst vergangenen Zeit, als er noch der alte Brian gewesen war.
    Hier hatte er nun den Vogel, sein erstes erbeutetes Fleisch. Aber noch nie hatte er ein Huhn ausgenommen und gerupft. Wo sollte er anfangen? Brian zögerte noch. Aber sein Hunger war stärker.
    Mit den Federn ging es ganz leicht. Brian versuchte sie einzeln auszureißen, aber sie steckten so fest in der zarten Haut, dass er den Vogel einfach aus dem Balg schälen konnte. Wie eine Orange, dachte Brian verwundert. Unangenehm war, dass die Gedärme – schwupp – aus dem kleinen Körper glitschten, nachdem die Haut abgezogen war.
    Eklig war dieser dumpfe Kotgeruch, der aus den bläulich glänzenden Innereien aufstieg und Brian beinahe den Atem benahm. Er würgte und musste sich fast übergeben. Doch wieder siegte sein Hunger.
    Ohne zu zaudern, trennte er Kopf und Flügel mit dem Beil ab. Was er in der Hand behielt, ähnelte ungefähr einem klein geratenen Brathähnchen, mit festem Fleisch an der Brust und kurzen, kräftigen Schenkeln.
    Er spießte das Huhn auf einen Stock und lehnte es an die Hüttenwand. Den Federbalg und die Innereien trug er hinunter zu seinem Fischbecken im See. Die Fische würden vertilgen, was übrig geblieben war – und es würden noch mehr Fische in die Reuse kommen. Vorher aber zupfte er die langen Federn aus Schwanz und Schwingen. Sie zeigten ein hübsches Muster von hellroten Punkten und Streifen auf graubraunem Grund. Vielleicht, so überlegte Brian, konnte er diese Federn an seinen Pfeilen befestigen?
    Dann schaute er zu, wie die Fische im Becken sich um die Abfälle drängten. Er wusch sich die Hände und kehrte zu seiner Hütte zurück. Oh, verdammt!, stöhnte Brian, als er die Fliegen sah, die den ausgenommenen Vogel umschwärmten. Vergeblich war der Versuch, sie mit der Hand zu verscheuchen. Erst als das Feuer aufloderte und Rauchschwaden durch die Ritzen der Hüttenwand drangen, verschwanden die Fliegen. Brian brauchte den Vogelkörper nur noch auf einen Stock zu spießen und über das Feuer zu halten.
    Aber es dauerte noch eine Weile, bis Brian seinen ersten Happen Fleisch genießen konnte. Er merkte gleich, dass die Flammen zu heiß waren: Das herabtropfende Fett entzündete sich und beinahe wäre der ganze Braten verbrannt.
    Als er den Vogel am Spieß etwas höher hielt, war es dort – über den Flammen – noch heißer und ein beißender Qualm stieg auf. Schließlich fand Brian eine Stelle neben dem Feuer, wo das Fleisch gleichmäßig garen konnte, wenn er es langsam am Spieß drehte. Nachdem er einen gegabelten Ast in den Boden gerammt hatte, der ihm als Stütze für seinen improvisierten Bratspieß diente, hatte er die richtige Methode gefunden, um ein Hühnchen am offenen Feuer zu braten.
    Bald darauf war der Vogel außen schön knusprig gebraten und ein verführerischer Duft stieg auf. Als er aber ein Stück Fleisch ablöste und in den Mund steckte, war es innen noch roh.
    Na, dachte Brian, Geduld. Immer wieder musste er in diesen Tagen lernen, dass die wichtigsten Dinge im Leben in der Wildnis nur mit Geduld und Überlegung zu erreichen waren.
    Nachdenklich lehnte er sich zurück und ließ den Vogel langsam neben dem Feuer rotieren. Er schaute zu, wie eine dunkelbraune Kruste entstand, bis er dem Bratenduft nicht mehr widerstehen konnte.
    Mit spitzen Fingern, um sich nicht zu verbrennen, löste er ein Stück Fleisch aus der Brust, steckte es in den Mund und kaute langsam und andächtig.
    Noch niemals im Leben, fand Brian, hatte er etwas so Köstliches gegessen. Nach all den Hamburgers mit Ketchup, nach all den Pommes mit Mayonnaise und Pizzas und Steaks und süßen Pasteten, die ihm früher geschmeckt hatten, musste er sagen: Noch nie hatte er etwas so Gutes gekostet wie diesen ersten Happen Fleisch!
    Sein erstes, selbst erbeutetes Fleisch.

16
    Das alles war viele Tage her. Jetzt stand er

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