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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Paulsen
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anzulegen, so dachte er später, war damals ein großer Fortschritt gewesen. Es hatte ihn nicht nur vor dem Verhungern bewahrt. Es war auch ein wichtiger Schritt in die Zukunft gewesen.
    Natürlich konnte er damals nicht wissen, wie langweilig frische Fische schmeckten, wenn man sich jeden Tag an ihnen satt essen konnte.

15
    Die Tage reihten sich aneinander, die Zeit verfloss. Wie viele Tage vergangen waren, wusste Brian nur, weil er jeden Morgen einen Strich in die Felswand neben der Tür seiner Hütte ritzte. Viel wichtiger als die gezählten Tage waren jedoch die Ereignisse, die ihm widerfuhren. Denn das tägliche Einerlei hinterließ keine Erinnerung: Die Sonne ging auf, die Sonne ging unter. Dazwischen war es ein paar Stunden hell.
    Doch die Ereignisse, die er erlebte, prägten sich dem Gedächtnis ein. Sie waren für Brian ein Maßstab für die verfliegende Zeit und er hielt sie in der Erinnerung fest – wie auf den Blättern eines inneren Tagebuchs.
    So war der Tag gekommen, als er zum ersten Mal Fleisch aß.
    Dieser Tag hatte angefangen wie alle anderen. Brian war aufgestanden, hatte sein Lager in Ordnung gebracht und genug Holz für die kommende Nacht gesammelt. Seit langem lebte er nur von Fisch und Beeren, die er im Wald sammelte. Er sehnte sich nach anderer, schmackhafterer Kost. Er sehnte sich nach Fleisch.
    In der Nacht träumte er von Schweinekoteletts, wie seine Mutter sie briet, von Steaks und einem knusprigen Truthahn aus der Ofenröhre, und als er einmal um Mitternacht erwachte, um Feuerholz nachzulegen, glaubte er würzigen Bratensaft auf der Zunge zu schmecken. Es war nur ein Traum – aber warum sollte er nicht Wirklichkeit werden?
    Auf seinen Streifzügen durch den Wald, auf der Suche nach Brennholz oder beim Beerensammeln, hatte er viele kleine Tiere gesehen. Eichhörnchen gab es überall, kleine rote Kobolde, die von Ast zu Ast hüpften und ihn schnatternd beschimpften. Es gab auch Kaninchen, die großen grauen mit einer rötlichen Tönung im Fell, und die kleineren, die so flink waren und sich nur in der Dämmerung blickenließen. Die großen aber waren ganz zutraulich. Manchmal blieben sie sitzen, bis er sich auf ein paar Schritte genähert hatte. Dann sprangen sie auf, hoppelten ein Stück weiter und blieben wieder friedlich im Gras sitzen. Mit etwas Glück und einiger List, so überlegte Brian, konnte er eines der großen Kaninchen erlegen. Niemals aber die kleinen Kaninchen oder die Eichhörnchen. Sie waren einfach zu flink.
    Und dann gab es noch die »Dummvögel«, wie Brian sie nannte. Diese unberechenbaren Hühner des Waldes konnten ihn schier zum Wahnsinn treiben.
    Sie waren überall, Grüppchen von sechs bis sieben Stück, und ihre Tarnung war so perfekt, dass sie Brian immer wieder täuschen konnten. Manchmal saß er rastend unter einem Baum, lässig an den Stamm gelehnt, und keinen Meter entfernt hockte eines der Hühner in einem Weidenbusch, gut versteckt, nur um mit trommelndem Flügelschlag aufzuflattern, wenn Brian gar nicht damit gerechnet hatte. Nie sah er sie rechtzeitig, nie konnte er sie entdecken, bevor sie davonschwirrten, weil sie so reglos verharrten und so vollkommen mit ihrer Umgebung verschmolzen.
    Was Brian am meisten ärgerte, war ihre scheinbare Dummheit. Oder waren sie gar nicht so dumm? Es war schon beleidigend, wie gut sie sich vor ihm verbargen. Direkt abscheulich war ihre Art, sich mit ohrenbetäubendem Flügelknattern in die Luft zu erheben. Jeden Morgen, wenn er in den Wald ging, um Holz zu sammeln, erlebte er wieder den gleichen Schreck. Einmal, er würde es nie vergessen, hatte er sich gebückt, um eine Wurzelknolle aufzuheben, die – wie er glaubte – am Fuß einer abgestorbenen Birke lag. Schon griffen seine Finger danach, als so ein Waldhuhn wie eine Kanonenkugel vor ihm hochschnellte.
    Aber an jenem Tag, als er zum ersten Mal Fleisch essen sollte, hatte er beschlossen einen dieser dummen Vögel zu schießen. Mit Pfeil und Bogen und seinem Speer in der Hand war er auf die Jagd gegangen und er wollte nicht aufgeben, bis er Beute gemacht hatte. Er zog nicht aus, um Holz zu sammeln oder Beeren zu suchen, sondern um einen Vogel zu schießen und Fleisch zu essen.
    Anfangs hatte er kein Glück. Er sah viele Vögel, während er langsam durch das Unterholz am Ufer schlich. Aber er sah sie erst, wenn sie auf und davon flogen. Zu spät!, dachte Brian. Er musste die Vögel früher entdecken, musste nah genug an sie herankommen. Aber er sah die vertrackten

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