Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Paulsen
Vom Netzwerk:
am Ende der lang gestreckten Bucht und blickte über das Wasser. Er war nicht mehr der, der er gewesen war; und es gab kein Zurück.
    Es hatte viele erste Tage gegeben in dieser Zeit:
    Da war der Tag, an dem er den ersten richtigen Pfeil abschoss. Mit einem Faden, den er aus seinem alten, zerschlissenen Anorak getrennt hatte, und etwas Harz von einem Fichtenstamm befestigte er eine aufgespaltene Feder an einem trockenen Weidenstab – und hatte nun einen Pfeil, mit dem man zielen konnte. Zumindest flog er geradeaus, und wenn ein Kaninchen oder ein »Dummvogel« lange genug an seinem Platz sitzen blieb und wenn Brian nah genug an die Beute herankam, glückte ihm manchmal ein Schuss.
    Es kam auch der Tag des ersten Kaninchens. Brian erlegte eines der großen Kaninchen mit einem Pfeil, zog ihm das Fell ab und briet es neben dem Feuer, wie damals den ersten Vogel. Das Fleisch schmeckte gut – nicht so würzig wie der Vogel, aber dennoch köstlich. Und das Fett auf den Rippen des Kaninchens machte den Braten saftiger.
    Seitdem konnte er zwischen Kaninchen und Geflügel wählen und zur Abwechslung auch einen Fisch fangen. Denn er hatte immer Hunger. Aber der Hunger hatte für ihn seinen Schrecken verloren. Brian wusste jetzt, wie er sich Nahrung verschaffen konnte, die ihn bei Kräften hielt. Und er war stolz auf seine neuen Kenntnisse.
    Der See war an diesem Ende von dichten, niedrigen Büschen gesäumt. An den Zweigen hingen kleine Blätterkelche, in denen grüne Nüsse steckten. Vielleicht konnte man sie essen?, fragte sich Brian. Doch als er mit Daumen und Zeigefinger eine herauslöste, sah er, dass sie noch nicht reif war. Außerdem hatte Brian sich für diesen Tag vorgenommen einen der dummen Vögel zu schießen. Sie versteckten sich gern in diesen dichten Stauden, nah am Boden, wo das Gebüsch ihnen gute Deckung gab.
    Brian brauchte nicht lange zu suchen, bis er einen der Vögel im Dickicht entdeckte. Lautlos schlich er sich an, bis der Vogel seinen Federkamm am Kopf aufstellte und einen leisen, raspelnden Warnlaut ausstieß. Es hörte sich an wie das Zirpen einer Grille. Erst als der Vogel sich entspannte und seine Federhaube anlegte, schlich Brian näher heran. Viermal musste er stehen bleiben, bevor er einen weiteren Schritt wagen konnte. Dabei sah er den Vogel niemals direkt an, sondern näherte sich von der Seite, so dass es schien, als ginge er langsam an ihm vorbei. Diese Methode der Jagd hatte er so vervollkommnet, dass es ihm einmal sogar gelungen war, einen Vogel mit bloßen Händen zu fangen.
    Schließlich stand er nur noch einen Meter von seiner Beute entfernt, die sich ängstlich im Gebüsch duckte.
    Der Vogel blieb sitzen und Brian legte einen Pfeil auf die Bogensehne – einen der neuen, gefiederten Pfeile, die er herstellen konnte, seit die Dummvögel ihm Federn lieferten. Er spannte den Bogen und schoss. Der Pfeil flog weitab vom Ziel und Brian zog einen weiteren Pfeil aus seinem Köcher, den er aus einem Ärmel seines zerschlissenen Anoraks gemacht hatte – am Ende verknotet, damit die Pfeile nicht hindurchfielen.
    Der Vogel saß reglos und bot ein deutliches Ziel. Ohne ihn direkt anzusehen, hob Brian den Bogen, ließ seinen zweiten Pfeil schwirren – und schoss wieder daneben. Diesmal hüpfte der Vogel erschreckt zur Seite, der Pfeil blieb im Boden stecken.
    Nur zwei Pfeile lagen noch in Brians Köcher und er überlegte, ob er noch näher herangehen und den Vogel mit dem Speer erlegen sollte. Noch ein Versuch.
    Langsam zog er den Pfeil heraus, legte ihn auf die Sehne, zielte und schoss – und diesmal verriet ihm hilfloses Flügelschlagen, dass er getroffen hatte. Der Vogel war aber nur angeschossen und taumelte wild umher. Brian sprang hinzu, packte die Beute am Hals und schlug sie fest gegen den Boden, um dem Kampf ein Ende zu machen. Dann sammelte er seine Pfeile auf, die unbeschädigt geblieben waren, und ging an den See, um sich das Blut von den Händen zu waschen.
    Er kniete am Ufer, den toten Vogel und seine Waffen neben sich, und tauchte die Hände ins Wasser. Es wäre beinahe die letzte Tat seines Lebens gewesen.
    Später erinnerte er sich nicht mehr, warum er sich umgewandt hatte. Vielleicht war es ein Geruch oder ein Geräusch, ein leises Rascheln im Unterholz. Irgendetwas drang an sein Ohr und er begann sich umzudrehen, hatte den Kopf schon halb gewendet, als er aus den Augenwinkeln eine braune, mit zottigem Fell bedeckte Masse zwischen den Bäumen am Waldsaum heranstürmen sah –

Weitere Kostenlose Bücher