Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
Grille, der Höllenkönig, ein Fickzeichenzeiger und, und, und. Kim-Il-Sung-Briefmarken werden auch verkauft.
Es gibt noch einen Grund, weshalb ich die Südroute gewählt habe. Auf dem Weg nach Chongqing City liegt die Chongqinger Stadtteilstadt Fengdu, nach chinesischer Überzeugung der Eingang zur Hölle. Eigentlich muss ich doch detailliert wissen, wie es mir als künftigem Chinesen nach dem Tod ergehen wird, und deshalb gehört ein Besuch in Fengdu für mich eigentlich zum Pflichtprogramm.
So ganz unbeschlagen bin ich allerdings nicht in Höllenfragen. Ich war in Singapur schon mal in einer Modellhölle und weiß also ungefähr, wie sie funktioniert. Die chinesische Hölle ist demnach keine Hölle im christlichen Sinne, sondern eher eine Unterwelt, in der alle Menschen nach dem Tod landen, egal ob sie gut waren oder schlecht. Die Bösen werden hier vor diverse, auf unterschiedliche Delikte spezialisierte Gerichtshöfe gestellt, denen jeweils ein Höllenkönig vorsteht. Die Guten werden durch verschiedene Tests herausgefiltert, ihnen bleibt die Bestrafung erspart, und sie können sich eine Weile in der Unterwelt amüsieren. Allerdings gibt es praktisch keine Guten, denn die Höllengerichte verfolgen konsequent auch noch das kleinste irdische Vergehen.
Dabei sind die Unverhältnismäßigkeit und Brutalität der Strafen erschreckend. Wer bei Prüfungen geschummelt hat, dem werden die Eingeweide herausgerissen; wer Pornographie besaß, wird in zwei Teile zersägt; für Ungehorsam gegenüber älteren Geschwistern wird man mit einer Steinkeule zermatscht. Da kann man eigentlich gleich rauben, morden oder vergewaltigen, denn dann werden einem auch nur sämtliche Extremitäten mit glühenden Zangen abgezwackt. Die Strafen werden übrigens noch im Gerichtssaal vollstreckt, von den Helfern des Gerichts, den sogenannten Yamas. Am Ende dieser unangenehmen Prozeduren entscheidet dann der Vorsitzende des Zehnten und letzten Gerichtshofes darüber, in welcher Form der verstorbene Delinquent wiedergeboren werden soll. Danach reicht einem die alte Dame Men Po den Tee des Vergessens, der das ganze vorangegangene Leben, aber auch die Folterungen in der Hölle aus dem Gedächtnis tilgt. Anschließend wird man auf das Rad der Reinkarnation gespannt, das einen zurück ins Leben schleudert. Ob man das als Mensch, Tier oder aber Stein verbringen wird, wird sich zeigen.
In Singapur befand sich die Hölle im Bauch eines großen Steindrachens, der in einem Vergnügungspark errichtet worden war. Mit viel Liebe zum blutigen Detail hatte man hier die Szenen in den einzelnen Höllengerichtshöfen nachgebildet. Die Hölle in Fengdu aber gilt als die chinesische Originalhölle. Schon seit tausendfünfhundert Jahren pilgern Chinesen aus allen Teilen des Reiches hierher, hauptsächlich, um schon mal für die Ankunft im echten Jenseits gut Wetter zu machen. Als der Jangtse-Damm errichtet wurde, fürchtete man, dass es mit dieser Tradition vorbei sein würde, denn zunächst war nicht klar, ob die Hölle nicht in den Fluten des neuen Stausees versinken würde. Diese Sorge stellte sich schnell als unbegründet heraus. Zur Verblüffung jedes Westlers liegt nämlich die chinesische Hölle nicht unter der Erde, sondern auf einem kleinen Hügel, der auch der letzten Anhebung des Wasserpegels knapp entkommen wird. Dafür muss leider die unterhalb des Höllenbergs gelegene alte Stadt Fengdu dran glauben beziehungsweise ist die schon weg. Die allerletzten Häuser wurden 2006 abgerissen.
Allerdings wurde Fengdu, genau wie die Stadt Fengjie, an höherer Stelle und auf dem gegenüberliegenden Jangtse-Ufer wieder aufgebaut. Hier, in der blitzblanken Neustadt, ist es auch, wo ich mit dem Bus ankomme. Ich habe drei Tage für die Fahrt von Wanzhou gebraucht, weil ich zwischendurch noch einmal am Fluss Station gemacht habe. Auf der Strecke konnte ich sehen, was die Regenfälle der letzten Tage angerichtet haben. Immer wieder versperrten Schlamm und Geröll die halbe Straße, talwärts hatten die Fluten gelegentlich ein Stück von der Fahrbahn abgebissen.
Über Fengdu sehe ich dann zum ersten Mal seit Yichang blauen Himmel. Gleich wird es wieder richtig heiß, was sicher nicht schlecht zur Hölle passt. Auch die Architektur Neu-Fengdus ist höllisch. Zumindest zeugt sie von höllisch schlechtem Geschmack, der noch über das normale chinesische Maß hinausgeht. Weil die Regierung den Wiederaufbau der Stadt mit viel Geld gefördert hat, ließ man sich nicht
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