Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
weil die 318 ganz nah an der immer noch umstrittenen chinesisch-indischen Grenze vorbeiführt. Wer diese drei Bescheinigungen nicht vorweisen kann, wird von der Polizei in Tibet eingesammelt, mit einer Strafe belegt und zurückgeschickt.
Die Permits sind allerdings keine Erfindung der Chinesen. Schon zu Zeiten, als die Briten den Zugang zum vorgeblich unabhängigen Tibet kontrollierten – also seit der Besetzung Lhasas durch britische Truppen unter der Führung von Francis Younghusband im Jahr 1904 bis zur Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 –, wurde eine solche Reiseerlaubnis gebraucht. Der Unterschied: Die Briten erteilten grundsätzlich keine Genehmigungen, sodass bis auf die Mitglieder der britischen Vertretung in Lhasa keine Westler nach Tibet reisen durften. Heute bekommt man sie, aber nur, wenn man eine offizielle Jeep-Tour bucht, mit einem Fahrer und einem Führer. Der Mann nun, den ich treffen will, ist ein solcher Reiseführer, der für eine offiziell akkreditierte Tibetreiseagentur in Chengdu arbeitet. Ich habe ihn schon ein paar Wochen vor Reiseantritt im Internet aufgestöbert. Da sich hier die Angebote der Agenturen mehr oder weniger glichen, suchte ich ihn mir nach dem Namen aus, mit denen die E-Mails an mich unterschrieben waren. Die Wahl fiel mir nicht schwer. Ein Mann namens Bart ließ alle anderen Bewerber weit hinter sich.
Wenn ich schon viel Geld dafür bezahle, per Auto und in Begleitung eines Führers durch Tibet zu düsen, dann soll mein Begleiter wenigstens lustig sein, gezackte Haare haben und knallgelbe Haut. Doch kaum hatte ich rund zwei Monate vor Antritt meiner Reise eine Zehntagetour gebucht, gab es die ersten Schwierigkeiten. Am 25. April 2007 entrollten amerikanische Free-Tibet-Aktivisten im Basiscamp auf der chinesischen Seite des Mount Everest ein Transparent. Dann hielten sie unter viel Gekeuche vor einer Videokamera eine Rede, in der ein tibetischstämmiger Ami behauptete, das, was man im Hintergrund sehe, gehöre alles ihm. Zum Schluss legten sie die Hände auf die Herzen und sangen die Hymne der tibetischen Exilregierung. Anschließend wurden sie festgenommen, vierundzwanzig Stunden festgehalten und danach nach Nepal transportiert. Dort gaben sie sofort eine Pressekonferenz, auf der sie Folgeaktionen ankündigten, das Keuch-Video stellten sie bei Youtube ein.
Nicht ganz unerwartet erzwangen die Amerikaner mit dieser Aktion nicht Tibets Freiheit, sondern erreichten nur, dass erstens der Agentur, die sie auf den Everest gebracht hatte, die Lizenz entzogen wurde und zweitens ab sofort die Genehmigungen für Individualreisen innerhalb Tibets sehr viel restriktiver erteilt wurden. Das könnte auch für mich zum Problem werden: nicht etwa, weil ich irgendwelche Sympathien für einen Theokraten wie den Dalai Lama habe – ganz im Gegenteil. Doch die Behörden könnten mich nach einer etwas gründlicheren Prüfung meines Lebenslaufs für einen Journalisten halten. Journalisten aber brauchen zu den genannten Permits noch eine Extragenehmigung, die nicht einfach zu bekommen ist, manchmal auch gar nicht. Zwar habe ich den Journalistenberuf immer eher dilettantisch ausgeübt und ihn zudem noch kurz vor meiner Reise ganz aufgegeben. Aber wissen das auch die Behörden?
Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich auf Bart warte. Natürlich bin ich auch gespannt, was er für ein Typ ist. Sollte ich die Genehmigungen wirklich bekommen, werde ich schließlich fast zwei Wochen auf engstem Raum mit ihm zusammen sein. Die Typfrage klärt sich, als Bart zur Tür reinkommt. Der zweitwichtigste Mann dieser Reise ist eine Art Gegenentwurf zu Bart Simpson: ein ewiger Student, Anfang dreißig, schlaksig und recht groß für einen Chinesen. Er trägt eine runde Nickelbrille und spricht scheinbar gelangweilt, aber in gewählten Worten.
Viel mehr kann ich bei dem Treffen über ihn nicht in Erfahrung bringen. Um ihn besser kennenzulernen, habe ich Bart zum Essen einladen wollen, doch er hat keine Zeit, er muss gleich weiter. «Auch eine Permitgeschichte. Die Papiere sind gerade mit dem Flugzeug aus Lhasa gekommen, und die Leute wollen morgen ganz früh los.» Er hat mir nur zwei Mitteillungen zu machen. Beide sind betrüblicher Natur. Erstens: Er hat trotz intensiver Suche keine Mitfahrer für die Tour gefunden. Also wird es für mich teuer: Zweitausend Euro auf einen Schlag für nur zehn Tage, das ist mehr Geld, als ich in den vergangenen zwei Monaten ausgeben habe. Andererseits hat die
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