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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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Mädchen übersetzen. «How you like her?», setzt sie an, offenbar ohne zu begreifen, dass sie selbst gemeint ist. «Bu cuo» – nicht schlecht, gebe ich zurück, um niemanden zu verletzen. Ich fürchte aber, dass sich der Hotel-Boss auf eine ganz spezielle Weise großzügig zeigen will. Am Ende bleibt das Mädchen dann doch im Foyer, während mich der Hotel-Boss persönlich an der Zimmertür abliefert. Er muss sich dafür richtig anstrengen, denn der Fahrstuhl ist kaputt, und wir müssen noch in den fünften Stock. Lehrer Charles fällt mir ein: «Das ist unsere chinesische Weise, unsere ausländischen Freunde willkommen zu heißen.» Diesmal allerdings gibt es keinen Haken.

    Zufrieden sinke ich ins Bett. Ein Disco-Chinese, denke ich kurz vor dem Einschlafen, werde ich sicher nicht. Aber Boss-Chinese könnte mir gefallen. Und China-Meister bin ich schon, wer hätte das vor kurzem wohl gedacht?

Bart und Du Fu
Wird es von Sichuans Hauptstadt weiter nach Tibet gehen? Oder scheitert unser Held auf halber Strecke? Alles unklar, damit die Spannung steigt. Ein Kapitel wie auf glühenden Kohlen.
    Am nächsten Tag geht die VIP-Behandlung weiter. Ich spaziere durch ein Spalier blumenstreuender Mädchen zum Busbahnhof, wo eine Blaskapelle auf mich wartet, die «Der Osten ist rot» schmettert. Okay, das ist gelogen. Wahr ist aber, dass ich mich nicht in die lange Schlange einreihen darf, die auf den Bus nach Chengdu wartet. Ich werde nach vorn gewunken und darf sofort einsteigen, während die anderen Leute sicher noch eine Stunde warten müssen. Das ist mir nun doch etwas peinlich, denn eigentlich will ich nur wie ein normaler Chinese behandelt werden.

    Über den Empfang in Chengdu kann ich auch nicht meckern. Die Hauptstadt Sichuans ist mit elf Millionen Einwohnern nicht nur die letzte Riesenmetropole auf der Strecke. Richtung Westen kommt auf mehr als dreitausend Kilometern bis zum indischen Delhi auch überhaupt keine einzige Millionenstadt mehr. Auf einem der Busbahnhöfe Chengdus steige ich aus. Natürlich habe ich wieder mal keinen Schimmer, wo ich bin. Heute wähle ich den bequemen Weg und lasse mich von einem Taxi zu Sam’s Guesthouse fahren, einer im Lonely Planet gelisteten Backpackerunterkunft. Die Zimmer sehen recht schäbig aus und sind dafür zu teuer. Außerdem bin ich plötzlich von bleichen Shorts-Trägern, rotgebratenen Flip-Flop-Müttern und dunklen Struwwelbärten umzingelt. Nicht dass ich gegen diese Leute was habe – auch ich war einst ein stolzer Struwwelbartträger –, aber ihr plötzliches, geballtes Auftreten irritiert mich und erinnert mich schmerzhaft daran, dass meine Jugend längst verflossen ist.
    Deshalb versuche ich es nebenan im 7 Days Inn, das zu einer chinesischen Budgetkette gehört. Ein schönes Einzelzimmer soll hier hundertsiebenundsechzig Yuan kosten. Das ist etwas über meinem Etat. «Aber wenn du einen chinesischen Namen hast», sagt eine der jungen Frauen an der Rezeption, «kostet es nur hundertsiebenundzwanzig.» – «Und wieso?» – «Dann können wir dir eine kostenlose Kundenkarte ausstellen. Und du bekommst Discount.» Ha, nicht schlecht. Natürlich habe ich als angehender Chinese einen chinesischen Namen. Er lautet Ke Li Si, mein Schwiegervater hat ihn mir verpasst, nach langem Rumprobieren mit den Schriftzeichen. Ich kann ihn zwar nicht schreiben, doch er steht in meinem chinesischen Führerschein. «Er hat sogar einen Führerschein!», rufen alle Rezeptionsmädchen begeistert. Fünf Minuten später habe ich meine Kundenkarte und ein herrliches Zimmer obendrein.

    Ich hoffe, die glückliche Ernennung sowohl zum China-Meister als auch zum Discountchinesen binnen zweier Tage ist ein gutes Vorzeichen für ein Treffen am späten Nachmittag im Hotelfoyer, dem ich schon seit einer ganzen Weile entgegenfiebere. Dieses Treffen wird entscheiden, wie die Reise weitergeht oder genauer: ob überhaupt. So wie bisher, per Bus und ohne Begleitung, komme ich jedenfalls nur noch bis zur tibetischen Grenze. Hier wäre für mich Schluss, solange ich kein Tibet Travel Permit habe, das jeder Ausländer zum Bereisen Tibets benötigt. Ich brauche sogar noch mehr als dieses eine Papier. Wer nämlich eine so ausgefallene Route wie die 318 zwischen der tibetischen Grenze und der Hauptstadt Tibets, Lhasa, befahren will, muss zusätzlich noch ein sogenanntes Alien Travel Permit sowie ein Military Travel Permit beantragen. Das Erstere, weil alle Nichtchinesen in China Aliens sind, das Letztere,

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