Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
israelisch-palästinensischen Konflikt?
Nein. Vorletztes Jahr hat er in Weimar an einer Demonstration für Gaza teilgenommen. Was hat Weimar mit Gaza zu tun? Ganz einfach: Die Stadt Weimar hat einem Anwalt aus Gaza, Issam Younis, einen Menschenrechtspreis verliehen.
Daniel hat natürlich jedes Recht, Israel zu kritisieren, gegen es zu demonstrieren und zu tun, was immer er will. Das ist das Wesen der Demokratie, und ich habe kein Problem damit. Was ich aber nicht verstehe, ist, warum jemand, der in einem Konzentrationslager arbeitet, einem System, in dem Millionen von Juden ihren Tod fanden, nicht das Bedürfnis verspürt, ein klein wenig sensibler gegenüber dem jüdischen Empfinden zu sein und von derlei Aktivitäten abzusehen. Die Geschichte von Israel und Gaza ist ziemlich kompliziert und vielschichtig. Tatsache aber ist, und jeder, der arabisch sprichtoder liest, weiß es: Nirgendwo auf der Welt leben so viele Menschen, die die Juden am liebsten ins Meer treiben würden. Warum sollte jemand aus Buchenwald sich ihnen anschließen?
Weil.
Im Divan, einem türkischen Restaurant, findet im Rahmen des »Yiddish Summer Weimar«-Festivals, das in diesem Jahr unter dem Motto »Yidishkayt!« steht, eine Jam-Session statt. Da mir danach ist, ein wenig Zeit unter Juden zu verbringen, lebenden Juden mit Schädeln, die größer sind als eine Faust, schaue ich mir das an. Olaf ist einer der Sänger.
Sind Sie Jude?
»Meine Urgroßmutter war Jüdin.«
Olaf erzählt mir sogleich seine Lebensgeschichte. In Kurzform: Theologiestudium, kurzzeitig Pfarrer im Rheinland und dann nach Berlin, wo er immer noch lebt. Heute singt er hier und da bei jiddischen Konzerten, bestreitet seinen Lebensunterhalt aber von der »Sozialhilfe«.
Warum will sich ein deutsches Publikum jüdische Musik anhören?
»Für Deutsche ist das Interesse an jüdischer Musik ein bißchen wie Disney.«
Wie er mir ebenfalls verrät, sind die Musiker, die in Deutschland jüdische Musik spielen, keine Juden.
Meine Annahme, ich würde hier Juden antreffen, war wohl etwas naiv.
Und warum machen Sie das?
»Als Wiedergutmachung für die Vergangenheit. Die deutsche Geschichte.«
Olaf redet weiter. Er sagt, er sei gegen das israelische Vorgehen. »Jüdische Viertel in Jerusalem zu bauen, ist illegal.«
Israel schon wieder?
Ich möchte mich mit jemand anderem unterhalten.
Auch Conny aus Hamburg nimmt an dem »Yidishkayt!«-Festival teil. Sie spielt Geige.
Jüdin?
»In meinem letzten Leben war ich Jüdin.«
In diesem nicht?
»Nein.«
Aber Sie interessieren sich für die Menschen, die diese Musik gemacht haben?
Tut sie.
Daniel ging nach Nablus, vielleicht ging Conny nach Tel Aviv.
Waren Sie schon einmal in Israel, frage ich sie.
Conny findet das gar nicht lustig. Sie regt sich auf. Sie fühlt sich von mir beleidigt. Sie scheint zu glauben, daß ich sie in irgendeiner Weise oder Form mit Israel in Verbindung bringe. Mit erhobener Stimme sagt sie: »Ich muß nicht nach Israel gehen! Meine Musik hat damit nichts zu tun! Ich möchte das Gespräch beenden!«
Dieser Ausbruch kommt mir komisch vor. Weg ist sie. Ich brauche mehr Musiker!
Ulla, eine Sängerin aus Wuppertal, setzt sich zu mir.
Sind Sie Jüdin?
»Nein.«
Warum dann jüdische Musik?
»Mein Vater hat sich sehr für die jüdische Geschichte interessiert und mir viel darüber erzählt. Er war im Krieg Soldat und geriet in Rußland in Kriegsgefangenschaft.«
Sind Sie eine Philosemitin?
»Kommt darauf an. Wenn es darum geht, wie Israel die Palästinenser behandelt, dann definitiv nicht.«
Die Palästinenser wieder! Was zum Teufel ist nur mit diesem Deutschland los?!
Ich weiß wirklich überhaupt nicht mehr, woran ich hier bin. Ulla schon.
»Mein Exmann war ein Araber aus Jordanien«, erzählt sie mir. Ohne Vorwarnung fügt sie plötzlich hinzu: »Ich vermisse die deutschen Juden.«
Sie tun WAS?
»Seit 1820 waren die jüdische und die deutsche Kultur miteinander verflochten. Der berühmteste deutsche Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, Heinrich Heine, war Jude. Was wäre der Sozialismus ohne Karl Marx? Und sein Großvater war ein Rabbiner. Psychologie: Sigmund Freud. Ein Jude.«
Der aber Österreicher war, oder?
»Das ist alles die deutsche Kultur. Man kann das nicht trennen.
Stefan Zweig: ein Jude.
Das deutsche Kabarett gäbe es gar nicht ohne die Juden.
Alle berühmten deutschen Soziologen waren Juden. Und sie sind in die Vereinigten Staaten ausgewandert.
Ich bin aber dagegen,
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