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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuvia Tenenbom
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einem Führer, den sie anbeten können. Damals war es Hitler, heute ist es Obama.«

    Ich aber sage: Vergeßt Obama. Vergeßt Rabbi Helmut. Vergeßt Halb und Halb. Vergeßt Scheich Jens. Vergeßt die »Jüdische Braut« . Sieg Heil! Heil Tuvia! Sollen die Drei Raben es sehen und der Welt verkünden. Heil!
    Damals, als das heißgeliebte Wölfchen in diesem Hotel weilte, riefen die Menschen draußen den brillantesten, poetischsten Vers zu ihm hinauf, der je in deutscher Sprache verfaßt wurde:
    »Lieber Führer, komm heraus, aus dem Elephantenhaus.«
    Und der allerliebste Führer pflegte, um dem Genius seiner Anhänger Tribut zu zollen, auf das zu treten, was als Führerbalkon bekannt geworden ist, sie zu grüßen und ihnen zuzuwinken. Sie sozusagen zu heilhitlern. Und wenn er das konnte, warum nicht auch ich? Ja. Genau das werde ich jetzt tun. Ich gehe auf den Balkon, der auf den Platz blickt, pflanze mich so auf wie er und schaue nach unten.
    Eine Gruppe älterer Leute geht vorbei. Ich winke ihnen im Hitlerstil zu.
    Sie finden es toll! Sie winken zurück. Was für ein Land!
    Ehrengard, deren Job es ist, Besuchern aus aller Welt so viel über Weimar zu erzählen, wie sie aufnehmen können, ist heute mit mir unterwegs. Sie erzählt mir von dieser Stadt, in der die NSDAP ihren ersten Reichsparteitag nach ihrer Neugründung durchführte. Von hier aus begann die Partei ihren Siegeszug. Was kein Zufall war; die Nazis wollten sich unbedingt in dieser Stadt beweisen. Immerhin war hier das Zentrum der aufgeklärtesten Nation der Welt: der Weimarer Republik. Und genau hier wurden Hitler und seine Partei mit offenen Armen empfangen.
    Wie konnten so aufgeklärte Menschen so schnell zu solchen Barbaren werden?
    Ehrengard weiß es nicht. Es existieren verschiedene Erklärungsansätze, sagt sie, und empfiehlt mir sogar ein Buch, das ich schon kenne, aber endgültige Antworten auf diese Frage gebe es nicht. So schnell lasse ich nicht locker und frage sie, wie sie über die Zeit denkt. War irgendein Familienangehöriger von ihr am Krieg beteiligt? Ich denke an die Frankfurter Schüler. War ein Großvater vielleicht Lokomotivführer in Kiew …?
    »Nein. Lokführer nicht. Etwas anderes hingegen schon.«
    Was, wer?
    »Lutz Graf Schwerin von Krosigk, Finanzminister im Dritten Reich, war mein Großonkel.«
    Das ist ein großer Fisch. Zumindest ein größerer Fisch als meine eigenen Angehörigen.
    Was hat er Ihnen erzählt? Hat er zugegeben, schlimme Dinge getan oder wenigstens von ihnen gewußt zu haben?
    »Er erzählte mir, daß er von den KZs wußte, aber nichts von der Grausamkeit.«
    Glaubten Sie ihm das?
    »Nein.«
    Weiter ging das Gespräch nicht?
    »Ich fragte ihn: Warum hast du nichts unternommen?«
    Was hat er geantwortet?
    »Man kann nicht von einem fahrenden Zug springen.«
    Und das war alles?
    »Nein. Er kam immer an den Punkt, an dem er sagte: ›Das wirst du nie verstehen.‹«
    Ehrengard, die diese Führung schon seit vielen Jahren macht, sagt mir, dies sei das erste Mal, daß ihr jemand solche Fragen gestellt habe.
    Ja. Ich bin wahrscheinlich zu weit gegangen. Ich wechsle daher das Thema und spreche über Fußball und Fahnen.
    Anschließend geht’s zurück zum Elephanten. Nicht weit von meinem Hotel steht das Weimarer Rathaus, von dem eine israelische Flagge herabhängt. Die war letzte Nacht noch nicht da. Ich versuche herauszufinden, was es damit auf sich hat, erhalte aber keine klare Antwort. Schau an.
    Im Elephanten wartet Martin Kranz auf mich. Ich kenne den Mann nicht, also setze ich mich auf einen Kaffee und eine Cola light mit ihm zusammen und lausche, was er mir zu erzählen hat. In der DDR als Sohn eines Pfarrers aufgewachsen, konnte er nicht aufs Gymnasium gehen und Abitur machen.
    Der Grund?
    »Weil mein Vater Geistlicher war.«
    Während ich an meiner Cola nippe, erzählt er mir weitere Details aus seinem Leben. Ich notiere auf meinem iPad: Gingzur Volksarmee. Als in Leipzig die Demonstrationen gegen die Regierung ausbrachen, wurde er für zehn Wochen ins Gefängnis gesteckt. Den als zuverlässig eingeschätzten Soldaten hingegen wurde befohlen, die Demonstrationen zu stoppen. Nach zehn Wochen im Gefängnis, während denen die Mauer fiel, wurde er zusammen mit anderen Soldaten zum Schutz der Wirtschaft der DDR in einer Zigarettenfabrik eingesetzt. Der reinste Unsinn. Vier Monate später sagten die Soldaten: Genug! Was machen wir hier eigentlich? Ist nicht die Mauer gefallen? Sie wurden nach Hause geschickt.

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