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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuvia Tenenbom
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ich? Na ja, sagt sie, »es ist nur über die Straße«. Ich drehe mich um und kann sie nicht entdecken. Das einzige, was in meinem Rücken zu sehen ist, ist ein McDonald’s.
    Klaro. Ich Dummerjan. Die »amerikanische Botschaft«.
    Birgit weinte, als die Mauer fiel, erzählt sie mir. Sie fuhr in den Westen und kaufte eine Banane.
    Eine Banane?
    »In der DDR gab es Bananen nur an Weihnachten.«
    Birgit hat etwas auf dem Herzen. Während wir die Straßen entlangspazieren, erzählt sie: »Die Westdeutschen haben uns bestohlen. Nach dem Fall der Mauer kamen sie herüber, unsere Schwestern und Brüder, und bestahlen uns. Sie brachten uns Müll und präsentierten uns anschließend die Rechnung dafür. Sie kauften ganze Fabriken vom Staat für nicht mehr als eine Mark, weil sie versprachen, die Region zu entwickeln. Dann schlossen sie die Fabriken, verkauften die Einzelteile, die Gerätschaften, den Grund und Boden, und zurück blieben viele ohne Arbeit. Die Menschen wissen das nicht. Schauen Sie hier, ein Denkmal für Felix Mendelssohn Bartholdy. Er war Christ, obwohl die Juden ihn für einen Juden halten. Israelische Touristen erzählten mir, daß ein Jude immer ein Jude bleibt, was auch immer passiert.«
    Birgit ist mit einem Engländer zusammen, der sie gelegentlich als Nazi tituliert. Sie ist aber eine nette Frau. Sie engagiert sich für Human Rights Watch. Und sie hörte mit dem Rauchen auf, als die deutsche Regierung die Tabaksteuer anhob.
    »Sie setzten die Steuer rauf, weil sie Geld für den Krieg in Afghanistan brauchen. Und ich unterstütze diesen Krieg nicht!«
    Nachdem ich mich von Birgit verabschiedet habe, treffe ich mich mit Tobias Hollitzer, dem Leiter des Museums in der »Runden Ecke«, des Stasi-Museums in der ehemaligen Leipziger Bezirksverwaltung der Staatssicherheit. Er erzählt mir, daß »wahrscheinlich jeder zweite Bürger eine Stasi-Akte hatte«.
    Damals gehörte Tobias einer Umweltschutzgruppe an. Er schrieb ein Gutachten zu Umweltrisiken durch, beispielsweise, Fabrikemissionen. Aus seiner Akte geht hervor, daß dieStasi seine Expertise als Herausforderung der Machthaber verstand. Am unteren Rand eines Blatts hat der Stasi-Mitarbeiter, der seine Akte führte, jedoch vermerkt, daß Tobias’ Gutachten falsch sei. Begründung? Die wirklichen Gefahren für die Umwelt seien viel größer …
    Witzig, diese Stasi-Leute!
    Tags darauf setze ich mich für ein Gespräch mit Pfarrer Christian Führer zusammen, einem der Initiatoren der berühmten Montagsdemonstrationen, die 1989 von der Nikolaikirche in Leipzig ausgingen.
    Glaubt er, daß die Demonstrationen die DDR zu Fall brachten?
    »Ja. Und die Kirche, die das Richtige tat.«
    Seit diesen Tagen ist es ihm ein Anliegen, den Leitspruch der Leipziger Demonstrationen – »keine Gewalt« – weltweit zu verbreiten.
    Glaubt er nach all diesen Jahren, daß gewaltfreie Demonstrationen die Politik oder ganze Regime verändern können?
    »Ja. Wir haben es ja geschafft!«
    Ich möchte das besser verstehen: zwölf Jahre Drittes Reich. Warum hat Ihr System damals nicht funktioniert?
    »Damals wurden die Menschen hingerichtet.«
    Heißt das, daß friedliche Revolutionen nur in schwachen Regimen funktionieren?
    »Nein. Jesu Botschaft hat hier funktioniert, obwohl die DDR ein mächtiges Regime war.«
    Wenn morgen die Nazis in Deutschland wieder an die Macht kämen, würde eine Demo unter dem Motto »keine Gewalt« helfen?
    »Nein.«
    Offensichtlich ist Adolf stärker als Jesus.
    Ich schlendere abseits des touristischen Zentrums durch Leipzigs Straßen, die ich sehr ansprechend finde. Hier sieht man zum Beispiel einen Laden namens »Licht Design«. Im Schaufenster: eine Leipziger Ampel, die Rot zeigt, und drum herum ist auf englisch zu lesen: »Don’t stop now!« Nett, gefällt mir. Ein paar Schritte weiter informiert mich ein Schild: »Entschuldigung. Wir haben geöffnet.« Charmant.
    Später dann steige ich in die erste Tram, die meines Weges kommt, und fahre bis zur Endhaltestelle. Dort steige ich aus. Wo bin ich? Ich stehe neben einer Ampel. An ihr hängt ein farbiges Plakat, das mir erklärt, was ich tun soll, wenn ich es bis hierher geschafft habe. Rot, erklärt es, heißt Steh. Und Grün, sagt es, bedeutet Geh. Wie im Fall der Neuen Pinakothek in München scheinen auch die hiesigen Behörden fest davon überzeugt zu sein, daß wir alle geistig zurückgeblieben sind. Wo bin ich? Ist hier ein Museum in der Nähe? Ein Passant verrät mir, daß ich in Wahren bin.

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