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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuvia Tenenbom
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die heroinspritzenden Mäuse aus meinem Kopf.
    Bei Anbruch der Nacht fahre ich weiter nach Butzbach. Butzbach? Ein Ort, eine Stadt. Ein reizender Punkt auf der Landkarte. Ich übernachte bei Farah. Farah ist eine Perserin, die ich in Tunesien kennengelernt habe. Sie mochte den Großajatollah Ruhollah Chomeini nicht und übersiedelte nach Deutschland. Seit vielen Jahren schon war sie nicht mehr im Iran, ist aber trotzdem irre stolz darauf, Iranerin zu sein. Sie ist glücklich, in diesem Land zu leben, gibt den Deutschen aber trotzdem keine besonders guten Noten.
    »Sie sind sehr genau«, sagt sie über die Deutschen, »und wenn sie Fehler machen, dann machen sie auch die sehr genau.« Farah hat viele Sprüche drauf. Ihr Aphorismus des Tages lautet: »Die Deutschen glauben, sie hätten die Juden getötet, aber in Wahrheit haben sie sich selbst getötet.« »Sie sind Menschen, die nicht gerne sie selbst sind.«
    Farah hat, nebenbei bemerkt, eine Schwäche für die Juden. Angesichts der Finanzkrise, die die Welt in Atem hält, fragt sie mich: »Was wird mit den Juden geschehen?«
    Warum sollte irgend etwas mit den Juden geschehen? lautet meine Gegenfrage.
    »Weil man jetzt den Juden die Schuld geben wird«, sagt sie.
    Den Juden? Wieso den Juden?
    Sie wirft mir einen Blick zu, als wäre ich völlig debil. »Sie sind die Bankiers!«
    Die Juden mal wieder. Mein täglich Brot gib mir heute.
    Ich habe mich in meinem Leben noch nie so jüdisch gefühlt wie hier in Deutschland. Ich bin nach Deutschland gekommen, um die Deutschen zu entdecken, und was passiert?
    Die Deutschen entdecken mich.
    Wer hat gesagt, daß die Deutschen keinen Sinn für Humor haben?
    Wer immer es war, er hat sich geirrt!
    Mein Bankier George, fürs Protokoll, ist kein Jude. Und er ist bereit, sich noch einmal mit mir zu treffen. Schließlich ist er mir eine Antwort schuldig, eine Antwort auf die Frage, was ihn motiviert. Wir treffen uns, wo auch sonst, im Café des Frankfurter Hofs.
    Yep, ich bin zurück in Frankfurt.
    Also, warum arbeiten Sie immer noch so hart, um Geld zu verdienen? Was treibt Sie an?
    »Schach«, sagt er. »Das Spiel. Es ist ein Spiel. Nicht Poker, sondern Schach. Es ist ein kompliziertes Spiel, man muß es beherrschen. Es ist ziemlich spannend. Ich tue es nicht wegen des Geldes, sondern wegen des Spiels. Wenn es sich ergibt, daß ich eine oder zwei Millionen mache, dann ist das wunderbar. Aber darum geht es nicht, es geht darum herauszufinden, wie die andere Seite tickt.«
    Warum spielen Sie nicht Schach in der Kleinmarkthalle hier in Frankfurt? Ich würde Sie nur zu gerne zwischen all denWürsten und Frikadellen und Hühnchen sehen. Ich kann einen Schachtisch für Sie organisieren, wenn Sie wollen. Soll ich?
    »Sehr witzig. Ich schulde der Deutschen Bank ein hübsches Sümmchen für meine diversen Immobilien. Ich muß Geld verdienen, verstehen Sie?«
    Gut, legen wir die Karten auf den Tisch: Wie viele Gebäude brauchen Sie?
    George schaut mich an, als wäre ich Genosse Lenin. Bin ich aber nicht. Ehrenwort, ich spreche kein Wort Russisch.
    George ist ausgesprochen intelligent. Wir sprechen über dies und jenes; er ist scharfsinnig, seine Argumente treffen stets den Kern der Sache. Nur nicht in diesem einen Punkt.
    Warum stellt er sich bei dieser Frage so an? Ich habe nach meinen langen Gesprächen mit ihm das Gefühl, daß sein wahrer Antrieb Gier ist, er es aber nicht über sich bringt, dies zuzugeben.
    Ich habe Zeit. Ich arbeite nicht für die Bank of America. Warum also nicht meine Zeit dazu nutzen, einem hilflosen europäischen Kapitalisten wider Willen zu helfen? Ich versuche, ihn ins Gelobte Land zu führen.
    Sprechen Sie mir nach:
    Ich –
    »Ich –«
    – bin –
    »– bin –«
    – gierig.
    »Das sag ich nicht.«
    Warum nicht?
    »Ich käme mir billig vor.«
    Er bestreitet seine Gier nicht, kann aber nicht zu ihr stehen, weil er sich sonst »billig« vorkäme. Ich weise ihn daraufhin und frage ihn, ob das eben eine dieser »fürchterlichen Freudschen Fehlleistungen« war. George starrt mich an, als wäre ich der Teufel persönlich.
    Ja, ich weiß. Ich gebrauche die Ausdrücke ›Kapitalist‹ und ›Kapitalist wider Willen‹ nicht eben selten. Das liegt jedoch nicht an mir, sondern daran, daß ich sie immer wieder auf die eine oder andere Weise zu hören bekomme. Der Kapitalist bin immer ich, weil ich aus New York komme, und der Deutsche ist immer so eine Art Sozialist, weil – tja, einfach nur weil. Dieser Logik zufolge

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