Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)
würde er eine lästige Fliege abwehren. William war nicht gerade ein Kenner, wenn es um zarte Gefühle ging – bei diesem Thema auf ihn zu hören war also völlig verrückt.
Doch wenn es jemanden gab, der so langsam verrückt wurde, dann war es Nicholas Stangate, Lord Arndale. Er hatte sich selbst zwei Wochen gegeben, um Talithas Meinung zu ändern, doch war er jetzt weiter davon entfernt, diese Frau zu ergründen, als noch heute Morgen um sieben Uhr. Verdammt, war das erst heute Morgen gewesen, als sie in seinen Armen gelegen hatte, in seinem Bett? Sein Körper versteifte sich bei der Erinnerung, erbarmungslos überrumpelt von dem Gefühl der zarten, warmen, nackten … „Kalte, tote Fische.“
„Was?“
Gott, er verlor wirklich den Verstand, wenn er zu solchen Mitteln greifen musste, um sich abzuregen. „Nichts, ich habe nur laut gedacht. Am besten suchen wir Tante Kate und sagen ihr, dass Tallie sich nicht wohlfühlt. Sie wird sie vermutlich nach Hause bringen wollen.“
William schob sich durch die Schar der Gäste. Abwesend schlenderte Nick hinter ihm her, den Blick auf die Tür des Ruheraums geheftet. Provozierend unabhängig, schockierend zauberhaft, besorgniserregend mutig. So konnte man Talitha Grey beschreiben. Eine Ehe mit ihr wäre sicher niemals langweilig. Sein unwillkürliches Lächeln verschwand, als er daran dachte, wie sie sich das Taschentuch an die Augen gehalten hatte, bevor sie in dem Raum verschwand. Er hatte sie nie zuvor weinen gesehen, oder doch? Ja, gleich zweimal, fiel es ihm beschämt wieder ein. Das erste Mal, als ihr der Zusammenprall mit ihm den Atem genommen hatte, und ein zweites Mal, als eine scharfe Bemerkung seinerseits der Anlass war, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten, obwohl sie tapfer bemüht gewesen war, sie zurückzuhalten. Bei dem Gedanken an ihren Kummer verkrampfte sich etwas in seiner Magengrube. War er zu aufdringlich gewesen? Hatte er es zu weit getrieben? Oder lag es an den Ereignissen der letzten vierundzwanzig Stunden, die auch den Standhaftesten zur Verzweiflung gebracht hätten?
Entschlossen schneuzte Talitha sich und wehrte das Riechsalz ab, das ihr die hilfreiche Miss Harvey, eine weitere Debütantin, in die Hand drücken wollte. „Danke, nein, es geht mir gut. Mir ist nur jemand auf die Zehen getreten – was für ein Schmerz! Ich habe erst gedacht, es sei etwas gebrochen, und musste sofort weinen. Nein, nein, bitte, Sie sind zu freundlich …“
Würde dieses verdammte Mädchen denn niemals verschwinden? Talitha wischte sich die Tränen aus den Augen und lächelte durch zusammengebissene Zähne, bis sich Miss Harvey zum Glück entfernte, nur um sich an der Tür noch einmal umzudrehen und erneut ihre Hilfe anzubieten.
„Nein, Sie können wirklich nichts tun. Sie sind zu freundlich …“ Es war in der Tat eine nette Geste, musste Talitha sich selbst gegenüber eingestehen. Der arme William hatte sie vermutlich nur um einen Tanz bitten oder fragen wollen, ob er ihr etwas zu trinken bringen konnte. Ihre Nerven lagen blank, und sie war völlig übermüdet, das war alles. Morgen früh, nach einer Nacht guten Schlafes, war sicher alles wieder im Lot. Nicholas würde seine Niederlage mit Anstand hinnehmen, Tante Kate würde aufhören, sich Sorgen zu machen, und sie konnte sich für ein paar ruhige Tage nach Putney davonstehlen, um sich Zennas zukünftiges Schulhaus anzusehen. Dann würde sie zurückkehren und sich die letzten Wochen der Ballsaison ins Vergnügen stürzen, bevor sie sich schließlich ganz aus der Gesellschaft zurückzog.
„Tallie, Liebes, was ist denn los?“ Aufgeregt flatterte Lady Parry auf sie zu, wehrte einen der Bediensteten ab, ergriff Talithas Hand und ließ sich neben ihr auf das Sofa fallen.
„Nichts, Tante Kate, ich bin nur ein wenig müde, das ist alles.“
„Ich hätte Nicholas’ verrücktem Plan niemals zustimmen dürfen, nicht so kurz nach … nach letzter Nacht. Du musst ja völlig ausgelaugt sein, du armes Kind. Komm mit, ich habe William gesagt, er soll die Kutsche holen lassen. Wir schicken sie den Männern später wieder her, dann können sie noch hierbleiben und nach Herzenslust Karten spielen, flirten oder was auch immer ihnen gerade einfällt. Warum sie nicht auch völlig erschöpft sind, weiß ich nicht – ich jedenfalls fühle mich wie gerädert.“
„Vielleicht, weil Sie nicht bis mittags im Bett bleiben“, meinte Talitha leichthin. Sie würde den Gedanken an
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