Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)
abzugeben, der das Beste aus der Situation zu machen glaubt, indem er mich als Mischung aus unbezahlter Hausdame, Gastgeberin bei seinen Feierlichkeiten und Zuchtstute betrachtet.“ Sie verstummte kurz, dann fügte sie beschämt lächelnd hinzu: „Und nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.“
„Tallie! Ich bin sicher, Lord Arndale würde nie …“
„Oh, er wäre sicher der perfekte Gentleman, und ich würde ein Leben in Luxus und Bequemlichkeit führen.“ Sie unterbrach sich und öffnete eine der Türen. „Diese Zimmer sind sehr geräumig dafür, dass sie im zweiten Stock liegen, nicht wahr?“
„Kinder wären natürlich eine Freude“, fügte sie abwesend hinzu. „Obgleich ich es vorgezogen hätte, wenn ihr Vater mich aus Liebe geheiratet hätte und nicht hauptsächlich deswegen, weil er mich kompromittiert hat.“
Sie waren am Ende des Flurs angelangt, und Talitha stieg die schmale Treppe hinauf, die vor ihr lag. „Wohin führt die?“
„Nach oben auf den Dachboden und runter in die Küche. Tallie, lass das jetzt, komm mit nach unten, iss etwas und erzähl mir, warum du Seine Lordschaft nicht heiraten willst und was dich so wütend gemacht hat.“ Zenobia betrachtete das entschlossene Gesicht ihrer Freundin. „Sofort, Tallie! Oder ich schreibe Lord Arndale und verlange, dass er mir sagt, was er dir angetan hat, das schwöre ich!“
Miss Zenobia Scott sprach keine leeren Drohungen aus. Talitha blickte ihrer Freundin das erste Mal an diesem Tag ins Gesicht und lächelte reumütig, wobei ihre Unterlippe zitterte.
„Also gut, Zenna“, kapitulierte sie unterwürfig und folgte ihr die gewundene Dienstbotentreppe hinab ins Erdgeschoss.
„Mrs Blackstock ist bei ihrer Cousine untergekommen, und diese nette Dame hat mir zwei ihrer Mädchen ausgeliehen, damit ich ein paar Tage hierbleiben und das Haus besser einschätzen kann. Der Eigentümer ist sehr entgegenkommend, ich denke, er hat wohl Schwierigkeiten damit, eine solch große Immobilie an den Mann zu bringen. Das lässt mich auf einen guten Handel hoffen.“
Zenobia zog am Klingelzug, wechselte ein paar Worte mit dem Mädchen, das daraufhin erschienen war, und wandte sich wieder an Talitha. „So, in zehn Minuten bekommen wir etwas zu essen. Jetzt setz dich bitte hin und erzähl mir genau, was vorgefallen ist.“
Talitha holte einmal tief Luft, setzte sich und wiederholte dieselbe Geschichte, die sie am Tag zuvor auch Lady Parry erzählt hatte. Jetzt, beim zweiten Mal, fiel es ihr wesentlich leichter, und ohne Nick war es natürlich viel weniger peinlich. Ihrer Freundin gegenüber war sie auch sehr viel offener über das, was geschehen war, als sie in seinem Schlafzimmer aufwachte.
„Oh, mein Gott“, rief Zenobia schwach, mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen. „Aber Seine Lordschaft hat nicht …“
„Nein.“
„Mein Gott“, wiederholte Zenobia. „Ich hätte gedacht, Seine Lordschaft wäre ziemlich … äh … ich meine, sehr …“
„Sehr“, bestätigte Talitha trocken.
Zenobia brauchte einen Moment, um das soeben Gehörte zu verarbeiten. „Und er begehrt dich?“
„Scheint so. Wie ich das sehe, haben alle Männer sehr starke Bedürfnisse – was nicht heißt, dass ihnen die ganze Sache viel bedeutet. Sicher nicht so viel, dass es für eine Ehe reicht.“ Mit plötzlich aufflammender Wut wandte sich Talitha zu ihrer Freundin um. „Ich habe absolut keine Lust, meinen Ehemann mit einer Mätresse zu teilen, auch wenn die Gesellschaft sich in dieser Hinsicht blind und taub stellt.“
„Es scheint regelrecht erwartet zu werden in den Ehen der Gesellschaft“, stimmte Zenobia ihr traurig zu. „Bist du dir denn so sicher, dass er dich nicht liebt?“ Sie biss sich auf die Lippen, offensichtlich auf der Suche nach einer hilfreichen Bemerkung. „Vielleicht ist er nur schüchtern und … nein, vielleicht nicht.“
„Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der Nicholas Stangate schüchtern wäre“, ergänzte Talitha, die bei dem Gedanken lächeln musste. „Außerdem hat er jedes nur mögliche Argument herangezogen, um mir klarzumachen, wie überaus notwendig diese Verbindung ist. Wenn er mich lieben würde, hätte er das ja spätestens dann zur Sprache bringen müssen, meinst du nicht?“
„Das sollte man meinen, nur sind Männer unberechenbar“, überlegte Zenobia laut. Es klopfte an der Tür. „Das Mittagessen wird fertig sein. Wir bedienen uns selbst, dann
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