Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)
für richtig hältst, aber ich finde es ist eine Schande, dass du kein Debüt haben wirst.“
„Halb so schlimm. Morgen fangen wir an, Pläne für die Schule zu schmieden – sollte diese Idee dann immer noch deine Zustimmung finden.“
„Wie sollte sie nicht? Ich kann mein Glück kaum fassen – ich erkläre hiermit, dass ich mich so verwirrt fühle wie du aussiehst, liebste Tallie.“ Sie schwieg, als sich die Vordertür öffnete. „Das muss Mrs Blackstock sein. Was wirst du ihr sagen?“
„Noch nichts, denke ich. Ich möchte meine Freunde nicht mit der Höhe meines Erbes vor den Kopf stoßen. Allerdings würde ich deinen Rat, wie ich ihnen am besten helfen könnte, sehr zu schätzen wissen. Morgen erzählen wir ihr erstmal von unseren Plänen und kündigen. Sollte sie neue Mieter finden, bevor die Schule fertig ist, können wir uns immer noch zusammen ein Zimmer suchen oder so lange in ein Hotel ziehen.“
„Ein Hotel?“ Zenobias Augen wurden groß.
„Warum nicht“, erwiderte Talitha draufgängerisch. „Ich kann es mir schließlich leisten!“
Die verschwenderischen Anwandlungen reichten nicht bis nach dem Mittagessen. Zenobia setzte sich hin und fing an, Listen aufzustellen. Von Zeit zu Zeit unterbrach sie sich, kaute an ihrem Stift und starrte Löcher in die Luft, dann wieder kritzelte sie urplötzlich hastig weiter.
Talitha hingegen machte sich Gedanken darüber, wie enttäuscht Lady Parry von ihr sein würde, wenn sie entdeckte, dass ihr Schützling verkommen genug war, sich ihren Lebensunterhalt als Aktmodell zu verdienen.
6. KAPITEL
R ainbird enthielt sich jeder Reaktion, was auch immer er bei Tallies zweitem, unerwartetem Besuch an diesem Tag denken mochte. „Ihre Ladyschaft ist zu Hause, Miss Grey, und es ist zurzeit niemand bei ihr. Ich werde Sie ihr melden.“
„Tallie! Welch nette Überraschung.“ Lady Parry legte das Buch zur Seite, in dem sie gerade gelesen hatte, und blickte erfreut auf. „Komm, setz dich zu mir.“
„Ich … ich stehe lieber, Mylady.“ Talitha holte tief Luft. „Es tut mir sehr leid, wenn ich undankbar erscheine, Lady Parry, aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich Ihr freundliches Angebot von heute Morgen nicht hätte annehmen sollen. Ich bin hier, weil ich es Ihnen gleich sagen wollte.“
„Aber warum denn nicht? Mein armes Kind, steh nicht herum wie eine Dienstmagd, die das beste Porzellan zerbrochen hat. Setz dich. Na also, so ist es doch besser. Ich weiß, dass du heute Morgen einen rechten Schock erlitten haben musst, aber …“
„Das ist es nicht, Mylady. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, in welch schwierige Position ich Sie damit bringen würde.“
„Weil du gearbeitet hast, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen? Wenn mir das schon nichts ausmacht, dann sei versichert, dass es dem Rest der Gesellschaft ebenfalls egal ist – vor allem nicht, nachdem sie von deiner Familie und dem Vermögen gehört haben und dein damenhaftes Auftreten beobachten können.“
„Meine Freundinnen, Mylady …“
„Deine Freundinnen sind in diesem Haus mehr als willkommen, Tallie.“
„Lady Parry.“ Talitha bemühte sich, standhaft zu bleiben. Sie hatte das Gefühl, in einen Wirbelsturm geraten zu sein. „Meine einzigen Freundinnen sind eine Gouvernante, eine Opernsängerin und die Inhaberin eines Logierhauses. Ich glaube nicht, dass Ihnen diese Fakten bekannt gewesen sind, als Sie mir Ihr großzügiges Angebot unterbreiteten.“
„Ich habe noch nie eine Gouvernante getroffen, die nicht anständig war, und ich bin sicher, dass die Inhaberin des Logierhauses, in dem du wohnst, eine äußerst ehrenwerte Person ist.“
„Die Opernsängerin ist ihre Nichte und lebt auch dort“, beharrte Talitha.
„Ist sie ein nettes Mädchen?“
„Sehr. Und entgegen der allgemein verbreiteten schlechten Meinung über Schauspieler und Bühnenkünstler ist sie bescheiden, tugendhaft und anständig.“
„Na also, wo ist das Problem?“
„Sie hätten nichts dagegen, wenn ich diese Freundschaften weiter pflegte?“
„Sicherlich nicht. Deine Freundinnen sind in diesem Haus herzlichst willkommen, wann immer du sie einladen möchtest.“
„Danke, Mylady. Nicht jeder wird Ihrer Meinung sein.“
„Mit ‚jeder‘ meinst du meinen Neffen, nicht wahr?“
„Äh … ich …“ Talitha wollte weder lügen, noch hatte sie den Wunsch, Lady Parrys Familie in irgendeiner Art
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