Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)
billigte.
„Nein.“ William schaufelte Vanilleeis auf seinen Löffel, hielt jedoch auf halbem Weg zum Mund inne. „Er sieht einen manchmal so an.“
„Ansehen?“
„Ja, er sieht einen einfach nur an. Und dann fühlt man sich unwohl und fragt sich, ob das, was man gerade tut, auch das Richtige ist. Wissen Sie, was ich meine?“
„Nein, aber ich kann es mir vorstellen.“ Talitha trank einen belebenden Schluck Schokolade.
„Sie werden schon sehen. Sobald Sie bei uns wohnen.“
„Macht es Ihnen etwas aus, dass ich bei Ihnen einziehe, Mylord?“, fragte Talitha ihn unverblümt. Eine Unterhaltung mit diesem jungen Mann zu führen, einem ihr eigentlich völlig Fremden, war in höchstem Maße ungewöhnlich, doch William, mit seiner angeborenen, offenen Freundlichkeit, störte sich offensichtlich nicht im Geringsten daran.
„Nein, natürlich nicht. Ich werde mich freuen, eine Schwester zu haben, und Mama ist jetzt schon ganz außer sich vor Glück. Sie werden mich dann doch William nennen, oder?“ Er aß noch etwas von seinem Eis und brach die Waffel entzwei, dann fragte er mit dieser Direktheit, die Talitha als eine seiner charakteristischen Eigenschaften einordnete – so anders als sein Cousin: „Fühlen Sie sich jetzt besser?“
„Ich … ja, vielen Dank.“
„Gut. Was war denn los?“ Dann wurde er dunkelrot. „Oh Gott! Es tut mir leid, es ist nur … es ist so leicht, mit Ihnen zu reden, dass ich gar nicht nachgedacht habe. Vergessen Sie, dass ich gefragt habe.“
Talitha, die noch zehn Minuten zuvor lieber über glühende Kohlen gegangen wäre, als ihre verletzten Gefühle zu offenbaren, erwiderte zu ihrem eigenen Entsetzen: „Nein, nein, es ist schon in Ordnung, dass Sie fragen. Ich hatte eben ein sehr schwieriges Gespräch mit Madame d’Aunay, meiner früheren Arbeitgeberin.“
„Und?“ William nickte ermutigend. „Die ist ganz schön bissig, was?“
„Das ist es nicht. Es ist ihr peinlich, dass ich gestern noch ihre Hutmacherin war, ihre Angestellte. Sie denkt jetzt, sie muss mich wie eine feine Dame behandeln. Außerdem hat sie offenbar Angst, dass es auf ihr Geschäft zurückfällt, wenn ich einen Skandal verursache. Ich weiß schon gar nicht mehr, wer ich überhaupt bin.“ Zu ihrem Entsetzen steckte ihr plötzlich ein Kloß im Hals.
„Oh, also, das ist ja …!“ William förderte ein großes Taschentuch zutage, beugte sich über den Tisch und hielt es ihr hin. „Sie fangen doch jetzt nicht an zu weinen, oder, Miss Grey …? Ich käme mir wie ein ausgemachter Trottel vor.“
Talitha beugte den Kopf und warf durch gesenkte Wimpern einen schnellen Blick durch den halb leeren Raum. Niemand schien Notiz von ihnen zu nehmen. „Danke sehr, William, es geht mir gut, wirklich. Ich werde nicht weinen, ich weiß nur einfach nicht, ob ich wütend sein oder mich verletzt fühlen soll oder was auch immer.“
Seine Hand hielt nach wie vor das Taschentuch. Mit den Fingern berührte sie sein Handgelenk, um ihn dazu zu bewegen, es wieder zu verstauen. Dabei erregte eine Bewegung vor dem Fenster ihre Aufmerksamkeit. Lord Arndale beobachtete sie von draußen, eine Braue in frostiger Fassungslosigkeit hochgezogen.
„Guten Tag.“ Mit, wie es Talitha schien, übernatürlicher Geschwindigkeit stand er plötzlich an ihrem Tisch. Sie sah zu William und stellte fest, dass dieser genauso rot geworden war wie sie selbst. Sie beide mussten das Urbild der ertappten Sünder abgeben.
Lächerlich. William mochte zwar ein unbeholfener junger Erwachsener sein, aber sie war fünfundzwanzig und eine Dame von Welt. Sie würde einem Nicholas Stangate nicht erlauben, sie aus der Fassung zu bringen.
„Guten Tag, Mylord“, erwiderte sie darum freundlich. „Wollen Sie sich nicht zu uns setzen? Lord Parry hat mich zu dem unerhörten Luxus eines Eises eingeladen. Ich kann Zitrone nur empfehlen, wobei ich allerdings annehme, dass Vanille ebenso schmackhaft ist.“ William fing sich ebenfalls wieder und steckte das Taschentuch in seine Tasche zurück. Er rutschte einen Platz weiter, um seinem Cousin einen Stuhl frei zu machen.
„Danke, William. Nein, für mich nichts, danke.“ Mit einer lässigen Bewegung aus dem Handgelenk heraus schickte Nick den Kellner wieder fort und betrachtete Talitha skeptisch. „Es schien mir, als hätte mein Cousin Sie nicht nur zu einem Eis eingeladen, sondern Sie noch dazu zum Weinen gebracht.“
„Oh, also das
Weitere Kostenlose Bücher