Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)
hatte vor, Zenobia ein paar Kleider zu kaufen, damit auch sie Einladungen zu diversen Feierlichkeiten annehmen konnte, doch dies erforderte außerordentliches Fingerspitzengefühl. Hinzu kam, dass Zenobia an diesem Nachmittag Schüler hatte.
„Ich muss morgen einkaufen gehen. Ich kann bei Lady Parry nicht in diesen Kleidern erscheinen. Ich bin sicher, dass sie mir alle angesehenen Modehäuser empfehlen wird, sobald ich dort wohne, aber bis dahin brauche ich deinen Rat, Zenna. Hast du morgen etwas vor? Wenn nicht, könnten wir uns gleichzeitig bei ein paar Maklern umsehen.“
Zenobia stimmte dem Vorschlag zu und bemühte sich, so zu tun, als ob ihr dies Freude bereiten würde. Sie förderte ihren Notizblock zutage und fügte ihrer endlosen Liste einige Anmerkungen hinzu. Talitha ihrerseits brütete über dem Gespräch mit Madame d’Aunay, das sie sich für diesen Nachmittag vorgenommen hatte.
Sie hatte ihrer Arbeitgeberin bereits geschrieben und sich für ihre Abwesenheit entschuldigt, indem sie ihr eine sorgsam bereinigte Version ihrer veränderten Umstände darlegte. In diesem Brief hatte sie ebenfalls erklärt, dass sie aufhören würde zu arbeiten, sobald sie die Hüte fertig gestellt hatte, die sie gerade anfertigte. Zwar hatte sie erwartet, dass Madame unglücklich sein würde, doch auf den Empfang, der sie in dem Geschäft erwartete, war sie nicht vorbereitet.
Der erste Schock traf sie, als Madame vor ihr knickste, sobald sie den Raum betrat, und sie anschließend in ihr Heiligtum nötigte, ein elegant ausgestattetes Zimmer für ihre besten Kundinnen.
„Ich muss Sie um Verzeihung bitten, Madame …“, fing Talitha an, schwieg jedoch sofort wieder, weil sie sah, mit welch erzwungener Freundlichkeit Madame sie anblickte.
„Keine Ursache, Miss Grey. Sie wünschen natürlich, sich sofort von diesem Gewerbe zu distanzieren. Ich habe hier Ihren ausstehenden Lohn.“ Sie griff nach einem Umschlag, wobei sich eine feine Röte über ihren Hals legte.
„Um Himmels willen, nein“, protestierte Talitha. „Ich habe Sie doch nicht einmal vorgewarnt. Das kann ich nicht annehmen.“
„Wie Sie wünschen, Madam.“
Talitha blinzelte. Hatte ihre frühere Arbeitgeberin sie gerade „Madam“ genannt? „Die Hüte, an denen ich gerade arbeite …“
„Sarah wird sie fertig machen, Miss Grey.“ Unbehagliches Schweigen entstand. „Es tut mir natürlich leid, Lady Parry als Kundin zu verlieren, aber …“
„Warum sollten Sie?“ Talitha war vollkommen verwirrt.
„Ich habe es so verstanden, dass Sie bei Lady Parry wohnen, Miss Grey, und natürlich angenommen …“
„Ach du lieber Himmel, nein!“ Ihr wurde klar, dass Madame d’Aunay davon ausgehen musste, dass sie die Hüte für ihre Gönnerin von nun an in aller Stille selbst machen würde. „Natürlich, wenn Lady Parry eine kleine Änderung am Besatz nötig hat oder Ähnliches … ansonsten bin ich sicher, dass sie auch weiterhin ihre Hüte bei Ihnen beziehen wird.“
„Aha.“ Ihre frühere Arbeitgeberin machte einen eher noch unbehaglicheren Eindruck. „Sie haben, glaube ich, in dieser Ballsaison Ihr Debüt, nicht wahr, Miss Grey?“
„Das ist richtig, und ich werde einige Hüte benötigen …“
„Wie schade, dass dieses Geschäft nur Hüte fertigt, die für die ältere Dame gedacht sind“, erklärte Madame ausdruckslos.
„Aber …“ Talitha bemühte sich in aller Eile, sich einen Reim auf alles zu machen. Plötzlich war sie Madame also peinlich: weder feine Dame noch Angestellte, sondern jemand, der sich als Bürde entpuppen konnte, falls es bei ihrem Debüt zu einem Skandal käme. Die Damen der Gesellschaft konnten Anstoß nehmen an der Tatsache, dass eine von Madame d’Aunays Künstlerinnen die Vermessenheit besaß, sich über ihren Stand zu erheben.
Sie warf einen Blick durch die Tür in den Arbeitsraum. „Die Mädchen sind sehr beschäftigt, Miss Grey“, beeilte Madame ihr zu versichern.
„Da bin ich sicher, Madame.“ Talitha stand auf. „Ich danke Ihnen sehr, dass Sie mir eine Chance gegeben haben, als ich sie so dringend gebraucht habe, ich werde Ihnen dies nicht vergessen. Bitte seien Sie versichert, dass ich Lady Parry in keinster Weise davon abhalten werde, ihre Hüte weiterhin von Ihnen zu beziehen.“
Mit hoch erhobenem Kopf eilte sie zur Tür hinaus, ohne abzuwarten, ob Madame erneut knickste oder nicht. Sobald sie draußen vor dem Geschäft auf der Straße
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