Aller Heiligen Fluch
Eheversprechen hält, hat er Ruth verraten. Er hört sich noch, wie er sich ereifert und wortreich abstreitet, dass überhaupt etwas zwischen ihnen war. Ein Satz aus der Karfreitagsliturgie kommt ihm in den Sinn: In dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.
Seufzend biegt Nelson auf das Krankenhausgelände ab. «Parkplatz voll. Aktuelle Wartezeit: 30 Minuten.» Er hat gesündigt, und der Lohn der Sünde ist der Tod. In den letzten Jahren ist ihm der Tod beklemmend nahe gerückt. Er kann es sich nicht leisten, die Götter noch weiter zu erzürnen. Aber einstweilen hat er einen Toten am Hals, und Ruth Galloway ist die einzige Zeugin.
Dieser ganze Fall macht ihm Kopfzerbrechen. Neil Topham kann durchaus eines natürlichen Todes gestorben sein, doch Nelson findet die Tatsache verstörend, dass er direkt neben diesem anderen, längst verstorbenen Leichnam lag. Und dann die Briefe. Nelson hatte schon einmal mit einem Fall zu tun, bei dem anonyme Briefe eine Rolle spielten, und die Schriebe aus Tophams Schreibtischschublade enthalten genügend Anklänge daran, dass es ihm die Nackenhaare aufstellt.
Ihr seid unserer Aufforderung nicht nachgekommen.
Nun müsst Ihr die Konsequenzen tragen.
Ihr habt unsere Toten entehrt.
Nun werden die Toten sich an Euch rächen.
Wir werden kommen, Euch zu holen.
Wir werden Euch in der Traumzeit holen.
Mit quietschenden Reifen hält Nelson in einer Parkbucht, die für Rettungswagen reserviert ist. Detective Sergeant Judy Johnson kommt nach draußen, um ihn in Empfang zu nehmen. Sie gehört zu Nelsons besten Mitarbeitern: schlau, fleißig und mit einem großen Talent für die ganze Gefühlsduselei. Anfang des Jahres hat sie geheiratet, und Nelson lebt seither in der Angst, dass sie bald in Mutterschaftsurlaub gehen wird. «Das hat man davon, wenn man Frauen befördert», hat er seinem Chef gegenüber geschimpft. Whitcliffe war schockiert. «Harry! So was dürfen Sie doch heutzutage nicht mehr sagen.» Die Liste der Dinge, die Nelson nicht mehr sagen darf, wird minütlich länger. Trotzdem ist er überzeugt, dass Whitcliffe weiß, wie er das gemeint hat. Da investiert man Zeit und Mühe in die Ausbildung einer Polizistin, und wenn sie endlich richtig einsatzfähig ist, hört sie wieder auf. Oder sie versucht, Arbeit und Kinder unter einen Hut zu bringen, und ist ständig müde und gestresst. Judy hat allerdings noch nichts in Richtung Familiengründung verlauten lassen; überhaupt war sie in den letzten Wochen auffallend still.
«Hallo, Boss.»
Sie stehen direkt vor dem Eingang zur Notaufnahme. Fast pausenlos stolpern verletzte Feiernde an ihnen vorbei, teilweise noch mit Halloween-Maske. Die ersten Kriegsversehrten. Dabei ist es noch nicht einmal sechs Uhr.
«Tot eingeliefert?», fragt Nelson Judy zur Begrüßung.
Sie nickt. «Er ist in der Leichenhalle. Ich habe die Eltern bereits verständigt. Sie sind auf dem Weg hierher.»
«Hat Chris Stephenson ihn sich schon angesehen?»
«Ja. Er nimmt die Autopsie morgen vor.»
«Hat er sonst noch was Brauchbares gesagt?»
«Es gibt Anzeichen für Drogenkonsum.»
Nelson muss an das weiße Pulver denken, das er in der Schreibtischschublade gefunden hat. War das nur für Tophams persönlichen Gebrauch? Was ging da vor im Smith-Museum?
«Todesursache?», fragt er und macht einen Schritt zur Seite, um einem taumelnden Mann im Mumienkostüm auszuweichen.
«Das ist nicht ganz klar. Es könnte ein Herzinfarkt gewesen sein.»
«Ich schau ihn mir mal an.»
Judy geht mit Nelson über den Parkplatz auf das diskrete Schild mit der Aufschrift «Leichenhalle» zu. Unterwegs begegnen sie zwei Krankenschwestern mit Hexenhüten und einem erschreckend real wirkenden Vampir, der einen Rotwein namens Stierblut aus der Flasche trinkt.
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4
Man sollte nicht meinen, dass fünf Kinder so viel Krach machen können. Ruths kleines Haus ist wie gebläht vom Lärm, die Wände spannen sich unter dem Druck von Schokokeksen, Geburtstagsspielen und einem lauthals geschmetterten «Happy Birthday, liebe Katie». Letzteres weckt bei Ruth unbehagliche Erinnerungen an Nelson, der Kate beharrlich Katie nennt. Warum können die Leute nicht einfach akzeptieren, dass Ruth entscheidet, wie ihre Tochter heißt, auch wenn man es mit «-ie» am Ende besser singen kann?
Kates kleine Gästeschar besteht aus zwei Kleinkindern aus Sandras Kundenstamm, die sich gegenseitig keines Blickes würdigen und sich damit amüsieren,
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