Aller Heiligen Fluch
er betritt; jetzt lässt er sich auf Ruths Besucherstuhl sinken und sieht fast aus wie ein Student.
«Wer hat es dir gesagt?», fragt Ruth.
«Judy.»
Natürlich. «Gibt es denn etwas Neues?», fragt Ruth.
«Nein. Er liegt immer noch im Koma. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel.»
Ruth erlaubt sich ein leises Aufatmen. Er ist nicht tot. Nelson ist noch am Leben, und solange er lebt, wird er auch kämpfen, was immer die Ärzte sagen.
«Ich glaube, es weiß keiner, was es ist», sagt sie.
Cathbad sieht sie aus großen Augen an. «Ich schon», sagt er.
Ruth muss beinahe lachen. «Wie meinst du das denn?»
«Ich weiß, was Nelson fehlt», sagt Cathbad. «Und wenn du mal genau drüber nachdenkst, dann weißt du es auch.»
Ruth starrt ihn an. Vielleicht macht die Müdigkeit sie ja begriffsstutziger als sonst, aber sie hat wirklich nicht die leiseste Ahnung, wovon Cathbad redet. Seit wann ist er denn unter die Mediziner gegangen?
«Und was fehlt ihm?»
«Er wurde mit einem Fluch belegt», sagt Cathbad.
Jetzt lacht Ruth tatsächlich, obwohl sie innerlich vor Zorn auf Cathbad kocht. Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Moment für seinen mystischen Eso-Scheiß. Nelson ist krank. Er liegt auf der Intensivstation. Nichts anderes spielt eine Rolle. Doch dann sieht sie Cathbad an, und ihr Zorn verraucht. Er wirkt tatsächlich tief erschüttert. Sicher versucht er nur, auf seine Weise zu helfen.
«Du meinst, der Bischof hat ihn verflucht?», fragt sie, in Erinnerung an Teds Bemerkung. «Von wegen ‹Friede meinem Gebein›?»
«Nein.» Cathbad klingt, als fände er diesen Gedanken völlig abwegig. «Ich glaube, Bob hat ihn verflucht.»
«Bob?»
«Ja. Weißt du noch, an dem Abend bei dir zu Hause? In der Bonfire Night? Da habe ich Bob doch gesagt, er soll mit dem Knochen auf Lord Smith zeigen. Ich glaube, das hat er getan. Lord Smith ist noch in derselben Nacht gestorben.»
Und du warst ganz in der Nähe, denkt Ruth, weil du seine Tochter besucht hast. Caroline, die den Uluru so liebt und das rote Herz Australiens. «Aber wieso sollte Bob denn Nelson verfluchen?», fragt sie.
Cathbad runzelt die Stirn. «Das weiß ich auch nicht. Vielleicht war er ja wütend, weil die Polizei nichts unternommen hat, damit er seine Ahnen wiederbekommt. Vielleicht war Nelson aber auch nur gerade bei Smith, als der Fluch seine Wirkung entfaltet hat. Oder der Fluch ist falsch gelandet.»
«Falsch gelandet?»
«Das kann passieren», sagt Cathbad, «wenn es ein besonders mächtiger Fluch ist. Und Bob ist schließlich ein echter Schamane, ein Wirinum, wie es in seiner Sprache heißt. Er hat verheerende Kräfte. Vielleicht hat er ja alle verflucht, die irgendwie mit dem Museum zu tun hatten.»
«Und was ist mit mir?», fragt Ruth. «Ich war doch auch im Museum. Ich habe die Knochen sogar angefasst.»
«Um dich hat er einen Schutzkreis gezogen», sagt Cathbad. «Das hat er mir erzählt.»
Vermutlich sollte Ruth jetzt dankbar sein, doch sie fühlt sich einfach nur desorientiert, so als steckte sie immer noch in einem ihrer Angstträume fest. Wie kann es sein, dass sie hier mit Cathbad über Flüche und Schamanen diskutiert wie über ganz alltägliche Dinge? Dann merkt sie, dass Cathbad bereits weiterspricht. «… Bob hat Danforth Smith verflucht, und er ist tot. Ich weiß nicht, wie es dazu kam, aber irgendwie ist Nelson in diesen Fluch hineingeraten, aber er ist nicht tot. Er hat sich nur verirrt. Er wandert umher. Er hat sich in der Traumzeit verirrt.»
Ruth denkt an die Dunkelheit zurück, an das Feuer, das Geräusch der Klanghölzer.
Feuer ist unser Tor zur Traumzeit.
Ist das wirklich erst zwei Tage her?
«Und was können wir da tun?», fragt sie. «Wenn Nelson in der Traumzeit oder sonst wo festsitzt?»
«Ich werde ihn zurückholen», sagt Cathbad.
«Wie meinst du das, ‹ihn zurückholen›?» Gereiztheit und Angst geben Ruths Stimme einen bissigen Klang.
«Genau das. Ich werde in die Traumzeit eintreten.»
«Und wie?»
«Das brauchst du im Detail nicht zu wissen. Ich werde Drogen einnehmen, Halluzinogene, ich werde Eukalyptusblätter verbrennen, singen und bestimmte Kräuter kauen. Und dann, davon bin ich überzeugt, werde ich in die Traumzeit gelangen und kann Nelson dort suchen.»
«Und was, wenn du es nicht schaffst? Was, wenn du an einer gottverdammten Überdosis stirbst?»
«Ruth.» Cathbad sieht sie liebevoll an. «Ich weiß ja, dass du Angst hast, aber das brauchst du nicht. Ich weiß, was ich tue.»
Das,
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