Aller Heiligen Fluch
Frambösie und andere Krankheiten im Spiegel der Knochenstruktur
entdeckt sie einen Artikel über Bischof Augustine, den Janet Meadows ihr geschickt hat. Sie liest die ersten paar Zeilen und fühlt sich auf der Stelle zurückversetzt zu jenem Nachmittag an Halloween: der leere Museumssaal, das offene Fenster, die Buchseiten, die der Wind umblätterte.
Sie greift nach dem Telefon. «Hallo», sagt sie. «Hier ist Ruth Galloway. Können wir uns treffen? Ja, das passt mir gut.»
Ruth parkt in der Nähe von The Walks, einem Park im Zentrum von King’s Lynn. Es ist ein alter Park, und mittendrin steht eine Kapelle aus dem 15 . Jahrhundert, in der es spuken soll. Außerdem gibt es einen Kinderspielplatz und einen Bach, auf dem Enten schwimmen. Es ist ein schöner Nachmittag, und es sind etliche der Leute unterwegs, die nachmittags um zwei nicht arbeiten müssen: Rentner, Mütter mit Vorschulkindern, ein Vogelbeobachter, den Ruth etwas misstrauisch beäugt. Erwartungsgemäß lässt Kate die ansehnlicheren Vögel links liegen und tapst einer räudigen Taube hinterher, und es dauert nicht lange, bis zwei weitere krakeelende Kleinkinder sich zu ihr gesellen. Ruth sieht ihnen glücklich zu, bis ihr kalt wird und sie Kate schließlich zum Weitergehen überreden kann. Sie passieren die Red-Mount-Kapelle, ein merkwürdiges, sechseckiges Bauwerk mit einer angeblichen Reliquie der Jungfrau Maria. Ruth denkt an die Visionen von Bischof Augustine. Religion ist wirklich eine sonderbare Angelegenheit: jungfräuliche Geburten, Teufel, die sich als Schlangen tarnen, Brot, das in Fleisch verwandelt wird – wenn man so etwas glauben kann, dann glaubt man vermutlich auch sonst alles. Möglicherweise ist genau das der Reiz daran.
Sie überqueren die Brücke und gehen durch zunehmend weniger grüne und angenehme Straßen bis zum Smith-Museum. Dort ist zu Ruths Erstaunen eine Frau damit beschäftigt, Blätter von den Stufen zu fegen. Als sie näher kommt, erkennt sie Caroline Smith. Sie rechnet nicht damit, dass Caroline sich an sie erinnert, doch auf ihren zaghaften Gruß hin sagt die andere: «Sie sind doch Ruth, nicht wahr? Die Freundin von Cathbad?»
Zögernd bekennt sich Ruth dazu, Cathbads Freundin zu sein.
«Haben Sie schon gehört?» Caroline schiebt sich ein paar dunkle Haarsträhnen hinters Ohr. Sie wirkt übertrieben freundlich, fast ein bisschen manisch.
«Was soll ich gehört haben?»
«Die Schädel werden zurückgegeben», sagt Caroline. «Randolph hat gestern Nacht zugestimmt. Wir werden eine Rückführungszeremonie abhalten. Das wird wunderbar. Bob ist gerade hier.»
Ruth weiß nicht recht, wie sie es finden soll, Bob zu begegnen. Sie glaubt zwar eigentlich nicht, dass er für Lord Smiths Tod und Nelsons Krankheit verantwortlich ist, aber wenn sie an die geheimnisvolle Gestalt vergangene Nacht in ihrem Garten denkt, traut sie ihm doch nicht recht über den Weg. Sie erinnert sich noch gut an seine Miene, als er ihr von dem Mann mit dem Schädel auf dem Kaminsims erzählt hat.
Er ist inzwischen tot. Die Macht der Ahnen ist groß.
«Das freut Sie sicher», sagt sie zu Caroline.
«Und wie!» Caroline strahlt sie an. «Die böse Tat wird wiedergutgemacht. Mutter Erde wird ihren Frieden haben. Jetzt wird einfach alles gut.»
Ruth denkt an Mutter Julianas Mantra:
Alles wird gut sein, und alles wird gut sein, und jegliches Ding, es wird gut sein
. Warum fällt es ihr bloß so schwer, das zu glauben?
«Und was wird aus dem Museum?», fragt sie.
«Ach, das übernehme ich», sagt Caroline mit einem weiteren strahlenden Lächeln. «Ich habe große Pläne. Es wird alles völlig anders werden.»
«Und der Rennstall?»
«Na ja, nach dieser Drogensache …»
«Was denn für eine Drogensache?» Ruth würde am liebsten losbrüllen, stattdessen bleibt sie mit Kate an der Hand stehen und lächelt tapfer weiter. Hier ist einfach viel zu viel im Gange, was sie nicht versteht.
Caroline knipst ihr Lächeln wieder an. «Wenn der Rennstall den Betrieb wiederaufnehmen darf, wird Randolph ihn führen. Das hat er sich immer gewünscht. Er ist toll mit den Pferden. Und ich mache aus dem Museum einen echten Erfolg. Wir werden eine lokalhistorische Ausstellungsreihe starten, angefangen mit ‹Augustine: der erste weibliche Bischof›.»
«Hört sich spannend an», meint Ruth. «Ich bin hier mit jemandem verabredet. Kann ich reingehen?»
«Aber sicher! Sie wartet schon.»
Im Licht des Nachmittags wirkt das Museum verlassen, aber
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