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Aller Heiligen Fluch

Aller Heiligen Fluch

Titel: Aller Heiligen Fluch
Autoren: Elly Griffiths
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Sie steht in seiner Schuld und muss jetzt etwa ein Jahr lang nett zu ihm sein. Leicht wird das allerdings nicht.
    Als sie die Akten der Operation Oktopus in das Fach mit den abgeschlossenen Fällen räumt, klingelt ihr Handy. Cathbad. Erst jetzt wird ihr klar, dass sie die ganze Nacht auf diesen Anruf gewartet hat. Plötzlich verspürt sie bleierne Müdigkeit; am liebsten würde sie sich gleich hier auf den verdreckten Teppichboden legen und eine Woche lang durchschlafen.
    «Hallo, Cathbad.»
    «Hallo, Judy.»
    «Hast du von Nelson gehört?»
    «Nein. Was ist mit ihm?»
    «Er ist wieder bei Bewusstsein. Sie glauben, dass er wieder ganz gesund wird.»
    «Das freut mich.» Cathbad klingt nicht weiter erstaunt. Aber im Grunde ist er ja nie erstaunt.
    «Wo bist du?», fragt sie.
    Cathbad lacht. «Bei Ruth. Lange Geschichte.»
    Das gilt wohl für alles, denkt Judy und rückt die Stifte auf Nelsons Schreibunterlage zurecht.
    «Sehen wir uns später?», fragt Cathbad. «Ich muss dir so viel erzählen.»
    «Tut mir leid», sagt Judy. «Es wird kein Später mehr geben.»
     
    Ruth tritt an das Bett. Nelson liegt mit geschlossenen Augen da, das Kinn dunkel von Bartstoppeln. Nicht zum ersten Mal bemerkt Ruth, dass er erstaunlich lange Wimpern hat. Von einer Klemme an seinem Finger geht ein Kabel weg, und eine Krankenschwester macht sich an einem Blutdruckmessgerät zu schaffen. Sie blickt auf.
    «Mit dem Kind dürfen Sie hier aber nicht rein.»
    «Nur ganz kurz», bittet Ruth. «Sie ist seine Tochter.»
    Die Schwester mustert sie skeptisch und denkt wahrscheinlich an Michelle und Nelsons andere, ältere Töchter. Doch in dem Moment schlägt Nelson die Augen auf.
    «Hallo, Ruth.»
    «Hallo, Nelson.»
    «Ist das Katie?»
    Ruth hält die Kleine so, dass er sie sehen kann. Kate klatscht in die Hände und ruft, wie aufs Stichwort: «Dada!»
    «Aber wirklich nur ein paar Minuten», sagt die Krankenschwester. Nelson stehen Tränen in den Augen. «Sie hat Daddy zu mir gesagt.»
    Ruth verzichtet auf die Bemerkung, dass Kate das zu jedem männlichen Wesen im Umkreis von dreißig Kilometern sagt. Sie ist den Tränen selbst gefährlich nahe.
    «Wie geht es dir?»
    Nelson runzelt die Stirn. «Keine Ahnung. Das Letzte, was ich weiß, ist, dass wir von Brighton nach Hause wollten.»
    «Du hast im Koma gelegen. Wir waren alle ganz krank vor Sorge.»
    «Michelle hat’s mir schon erzählt.»
    «Sie war unglaublich», sagt Ruth leise. «Sie ist dir praktisch nicht von der Seite gewichen.»
    «Ich weiß», sagt Nelson. «Die Schwestern meinen, sie hätte mich mit ihrer Willenskraft zurück ins Leben geholt.»
    «Wissen sie denn, was du hattest?»
    «Nein. Ich bin ein medizinisches Wunder.» Er schließt die Augen wieder.
    «Fühlst du dich immer noch schlecht?» Nervös hält Ruth nach der Schwester Ausschau, doch die steht mit ihren Kolleginnen an der Tür und plaudert über die letzte Folge von
X-Factor
.
    «Ein bisschen schwummerig. Ich hatte richtig seltsame Träume. Cathbad kam darin vor.»
    «Cathbad?»
    Ruth hat wohl einen etwas scharfen Ton angeschlagen, denn Kate, die durch den frühen Start in den Tag etwas knatschig ist, fängt an zu weinen. Ruth versucht, sie mit ihrem schwarzen Katzen-Schlüsselanhänger abzulenken. Die Schwestern schauen bereits herüber.
    Nelson betrachtet Kate. «Sie ist so groß geworden.»
    «Sie kann schon sechzehn Wörter.»
    «Mehr als ich.»
    Sie lächeln einander an, und plötzlich liegt deutlich mehr in der Luft als bloßes Wohlwollen. Ruth betrachtet Nelsons Haar, das an den Schläfen inzwischen fast völlig grau ist. Sie hat das verrückte Verlangen, es zu streicheln.
    Doch dann wird die erotische Spannung wie von einem Wirbelwind weggefegt. Eine üppige Dame im lila Mantel stürmt die Station.
    «Harry! Wie geht’s denn meinem Jungchen?»
    Nelson zuckt zusammen. «Hallo, Mum.»
    Maureen Nelson rückt zum Bett ihres Sohnes vor und registriert dabei jede kleine Einzelheit in seinem Erscheinungsbild und dem des Zimmers. «Du brauchst Wasser am Bett», erklärt sie. «Das ist ein menschliches Grundrecht.»
    «Mir geht’s gut, Mum.»
    «Gut? Michelle hat erzählt, du wärst fast gestorben. Sie ist halb durchgedreht vor Angst. Wie kannst du ihr so was antun?»
    «Ich hab’s ja nicht mit Absicht gemacht», brummt Nelson ziemlich bockig.
    Maureens Laser-Blick richtet sich bereits auf Ruth und Kate, die eifrig an dem Schlüsselanhänger kaut.
    «Wer ist das?»
    «Das ist Ruth. Eine … eine Freundin.»
    «Was
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