Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aller Heiligen Fluch

Aller Heiligen Fluch

Titel: Aller Heiligen Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
Vom Netzwerk:
denkt Ruth, ist mit Abstand der beunruhigendste Satz, den sie jemals gehört hat.
    «Cathbad.» Sie gibt sich alle Mühe, besänftigend zu klingen, Judys professionellen Ton nachzuahmen. «Du bist durcheinander. Wir sind alle durcheinander. Mein Gott, ich kann es immer noch nicht glauben. Nelson ist der allerletzte Mensch auf Erden, von dem ich gedacht hätte, dass er so krank wird. Aber jetzt ist er im Krankenhaus. Er ist in den allerbesten Händen. Und er ist zäh. Er wird es schaffen.» Wenn ich das nur oft genug sage, denkt sie bei sich, dann glaube ich es vielleicht irgendwann auch selber.
    «Das Krankenhaus kann nichts tun», sagt Cathbad. «Das liegt außerhalb jeder Macht der modernen Medizin.»
    «Hörst du dir eigentlich manchmal zu?», brüllt Ruth. «Hast du eine Ahnung, wie verrückt das alles klingt? Hier geht es nicht um Flüche oder … oder … um die Traumzeit. Nelson ist krank. Er hat sich irgendwas eingefangen. Kannst du nicht einmal im Leben einsehen, dass das nichts mit dir zu tun hat?!»
    Danach ist es still. Ruth fragt sich, ob Phil sie im Büro nebenan brüllen gehört hat. Falls ja, steht er sicher gleich auf der Matte. Doch Phil lässt sich nicht blicken.
    «Ich möchte es bei dir machen», sagt Cathbad.
    «Wie bitte?»
    «Am Salzmoor ist die Energie einfach besser. Und Bob ist in der Nähe, vielleicht kann ich ja ein bisschen von seiner Macht aufnehmen.»
    «Sagst du mir gerade, du willst bei mir zu Hause auf einen Drogentrip gehen? Vor meiner Tochter? Was ist, wenn du stirbst? Dann ist sie fürs ganze Leben traumatisiert.»
    «Ich auch», erwidert Cathbad trocken. Dann lächelt er. Er hat ein ungeheuer entwaffnendes Lächeln.
    «Bitte, Ruth. Ich weiß doch, du würdest alles tun, um Harry zu helfen.»
     
    Nelson ist im Dunkel. Er kann das Meer hören. Ist das Brighton oder Blackpool? Gegenwart oder Vergangenheit? Im Wasser, in der Brandung und der Rückströmung hört er Stimmen, doch er kann noch nicht verstehen, was sie sagen. Es sind auch Lichter zu sehen und Gegenstände, die sich gerade so außerhalb seiner Reichweite befinden. Er hört jemanden singen und überlegt, ob das wohl seine Mutter ist, ihr irischer Tonfall voll tiefem Schmerz. Dolores, der Tag der Sieben Schmerzen Mariens. Die schwarze Kutsche, von sechs schwarzen Pferden gezogen. Dreimal klopft der Fuhrmann an die Tür. Heißt das, er muss jetzt sterben? Falls ja, dann tut es gar nicht weh, aber irgendetwas stimmt nicht. Er kann noch nicht sterben. Er hat noch so viel zu tun. Seine Kinder. Er versucht, sich an ihre Namen zu erinnern. Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Rebecca, Laura. Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter. Und Kate. Kiss me, Kate. Wenn man die Stimme der Todesfee hört, weiß man, dass die Zeit gekommen ist.
    Und dann sieht er aus der Dunkelheit ein Boot auf sich zukommen. Ein Boot, wie aus Stein gehauen. Und in dem Boot steht ein Mann, ein Mann mit langem silbergrauem Haar. Er trägt ein Band um den Kopf, fast wie eine Krone. Und seine Augen sind blau, furchterregend blau.
    «Nelson», sagt er, in einem seltsam singenden Tonfall, der wie das Meer selber klingt. «Gib mir deine Hand, ich werde dich retten.»
    Doch da reißt ihn die schwarze Flut wieder davon.
     
    Gleich nach ihrem letzten Seminar packt Ruth ihre Sachen zusammen und strebt zur Tür. Cathbad hat gesagt, er wolle um neun kommen und «alles Nötige» mitbringen. Wird sie wirklich zulassen, dass er solchen Unsinn macht? Wird sie ihn um ein Feuer tanzen und dann nach oben gehen und Drogen nehmen lassen? In ihren eigenen vier Wänden? Was, wenn Cathbad stirbt und sie auf ewig als die Universitätsdozentin gilt, deren Kollege bei ihr zu Hause nach einer Drogenorgie gestorben ist? Und was, wenn er stirbt und sie ihn nie mehr wiedersieht? Was, wenn sowohl Cathbad als auch Nelson sterben und Kate ganz ohne Vaterfigur dasteht, bis auf Flint und den Postboten?
    Aber sie kann auch nicht einfach herumsitzen und nichts tun. Sie hat sich zwar geweigert, Nelson selbst zu helfen, doch Cathbads Bemühungen, so irrwitzig sie auch sein mögen, kann sie sich nicht in den Weg stellen. Hat sie im Lauf der Jahre etwa schon so viel von Cathbads Hokuspokus verinnerlicht, dass sie eine Traumwelt, in der die Seelen zwischen Leben und Tod umherirren, doch für möglich hält? Sie hat Eriks Stimme im Ohr.
Ein falscher Schritt, und man ist tot, fährt direkt zur Hölle. Aber wenn man auf dem Pfad bleibt, führt er einen in den Himmel.
    «Ruth! Du

Weitere Kostenlose Bücher