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Aller Heiligen Fluch

Aller Heiligen Fluch

Titel: Aller Heiligen Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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siehst ja aus, als wärst du ganz woanders.»
    Shona steht vor ihr, strahlend und wunderschön in einer lila Tunika über einer weißen Jeans. Ihr Haar, das im Licht der Nachmittagssonne fast orange wirkt, beißt sich hinreißend mit der Farbe des Oberteils. Sie sieht aus wie ein wandelndes Buntglasfenster.
    «Ich wollte nur kurz ein paar Bücher für Phil holen. Er schlägt sich immer noch mit dieser Grippe herum, der arme Schatz.»
    Deswegen ist Phil also vorhin nicht herübergekommen. Er leidet immer noch unter Männergrippe im Endstadium.
    «Geht’s dir gut, Ruth? Du siehst schrecklich blass aus.»
    Vielleicht liegt es ja daran, dass Shona so sprühend und voller Leben wirkt, während sie selbst so niedergeschlagen ist – jedenfalls hat Ruth plötzlich das unwiderstehliche Bedürfnis, Shona alles zu erzählen.
    «Es ist wegen Nelson …», fängt sie an.
    Sie erzählt Shona von Nelsons Erkrankung und Michelles Besuch. Als sie zu dem Punkt kommt, dass sie Nelson besuchen soll, fragt Shona erwartungsgemäß: «Aber warum will Michelle denn, dass du Nelson besuchst?»
    Ruth schweigt. Sie hat gewusst, dass Shona es früher oder später erfahren wird.
    «Ruth! Ist Nelson etwa …?»
    Ruth nickt.
    «Ach du Schande!» Shona lässt sich schwer auf Ruths Besucherstuhl fallen. «Nelson ist Kates Vater?»
    «Ja.»
    «Und seine Frau weiß es?»
    «Sie hat es bei der Taufe gemerkt.»
    «Aber wie denn?»
    Seltsam, diese Frage hat Ruth sich nie gestellt. «Ich weiß es nicht.»
    «Mein Gott, Ruth.» Shona sieht sie fassungslos an, halb entrüstet, aber auch mit einer gewissen Bewunderung. «Nelson. Darauf wäre ich ja nie gekommen. Ich dachte immer, du magst ihn nicht besonders.»
    «Er hat so seine Momente», erwidert Ruth trocken.
    «Hattet ihr eine Affäre?»
    «Es war nur eine Nacht», sagt Ruth. «Manchmal reicht das schon.»
    «Eine Nacht? Lieber Himmel, Ruth, warum hast du mir das denn nicht erzählt?»
    «Ich wollte es niemandem erzählen.»
    «Weiß Cathbad davon?»
    «Ich glaube, er ahnt es.»
    «Und was ist mit Phil?»
    «Bitte erzähl Phil nichts davon!»
    Es entfährt ihr fast wie ein Schrei, und Ruth merkt, dass sie den Tränen bereits sehr nahe ist.
    «Schon gut», beschwichtigt Shona. «Ich sage Phil nichts. Und jetzt will Nelsons Frau also, dass du ihn besuchst. Meine Güte, das ist aber ganz schön großherzig von ihr.»
    Ruth senkt den Blick. «Ich weiß.»
    «Sie muss ihn wirklich lieben.»
    «Ja, das tut sie.»
    Shona mustert sie fragend. «Warum hast du dann nein gesagt?»
    «Wegen Kate», sagt Ruth. «Ich habe solche Angst, dass sie krank wird.»
    «Aber sie hat doch nicht gesagt, dass du Kate mitbringen sollst, oder? Kinder dürfen sowieso nicht ins Krankenhaus. Ich weiß das, weil nicht einmal Phils Söhne mich besuchen dürfen, wenn das Baby kommt. Ich finde das ja etwas übertrieben.»
    «Ich weiß, aber vielleicht bringe ich ja Keime mit und stecke sie an. Kein Mensch weiß, was genau Nelson fehlt.»
    Fast schon zaghaft sieht Ruth zu ihrer Freundin hinüber. Ein Teil von ihr wünscht sich, Shona würde ihr sagen, dass sie richtig handelt. Ruth hat mit dem Mann einer anderen Frau geschlafen und weigert sich jetzt, auch nur einen Finger zu rühren, um diesem Mann das Leben zu retten, aber sie tut trotzdem das Richtige. Ein anderer Teil aber will, dass Shona ihr sagt, sie solle sich nicht so anstellen, und sie mit dem nächsten Taxi ins Krankenhaus schickt.
    Doch Shona mustert sie immer noch, als sähe sie sie zum ersten Mal.
    «Michelle muss ihn wirklich sehr lieben», wiederholt sie.
     
    Judy sitzt an Nelsons Schreibtisch. In den Schuhen eines Toten, denkt sie makaber. Aber Nelson lebt ja noch, und wo Leben ist, da ist auch Hoffnung, und wie die ganzen anderen nervigen, aber trotzdem merkwürdig beruhigenden Klischees sonst so lauten. Es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels. Wo hat sie das in letzter Zeit noch gleich gehört? Es muss erst schlimmer kommen, damit es besser wird, sagt sie sich grimmig, und wendet sich wieder ihrer Mitschrift des Gesprächs mit Randolph Smith zu. Glaubt sie wirklich, dass Danforth Smith unter verdächtigen Umständen gestorben ist? Sie hat eine Kopie der Sterbeurkunde angefordert. Todesursache: I . Myokardinfarkt, II . Diabetes mellitus. Eigentlich eindeutig: ein Herzinfarkt mit Komplikationen aufgrund einer bereits bestehenden chronischen Erkrankung. Aber was ist mit dieser unheimlichen Sache mit den Schlangen? Ist in jener Nacht etwas passiert, was Lord Smith

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