Allerliebste Schwester
richtige Frau, so habe ich mich gefühlt. Und je mehr ich mich so fühlte, desto unbedingter wollte ich, dass es endlich klappt, wobei ich auch befürchtete, dass mit wachsender Verzweiflung die Chancen auf Erfüllung sanken.
Erfahren habe ich es auf ganz banale Art und Weise. Irgendwann im Frühling, als ich die dicken Wintermäntel in Kartons packen und auf den Speicher stellen wollte. Da habe ich entdeckt, dass ich mir nichts einbildete, dass Tobias im Gegenteil schon viel weiter von mir entfernt war, als ich wahrhaben wollte. Kondome in der Innentasche seines Mantels. Noch vollständig verpackt und offensichtlich gerade erst gekauft. Kein Indiz, würde manche vielleicht sagen, warum darf er keine Kondome kaufen? Aber was soll ein Mann, der seine Frau doch schwängern will, damit anfangen? Ich schob die Packung vorsichtig zurück in die Tasche und
wartete mit dem Wegräumen der Wintersachen, bis sie irgendwann aus dem Mantel verschwunden war.
Nein. Ich habe nichts gesagt. Ihn nicht hysterisch zur Rede gestellt. Ihn nicht gefragt, wer die Frau ist, für die er die Präservative braucht. Habe einfach abgewartet und gehofft, dass es nur eine vorübergehende Affäre sein möge, ein unwichtiges Techtelmechtel, bei dem er sich austobt, da der Sex mit mir in unserer Lage für ihn mit Sicherheit nicht sonderlich befriedigend war. Wie gern hätte ich damals mit dir darüber gesprochen, Barbro, aber zu der Zeit hatten wir uns auch schon so weit voneinander entfernt, dass wir uns nur noch auf der Oberfläche begegneten.
Die Liebe glaubt alles, hofft alles, erträgt alles. Die Liebe hört niemals auf. Und ich? Ich habe eben geglaubt, gehofft und ertragen. Bis zum Letzten wollte ich es ertragen, wollte zu ihm stehen, diese Krise, wir würden sie bewältigen.
Dann war da noch Simon. Ein sympathischer Mann, ein wenig jünger als ich, der seit Monaten regelmäßig in der Buchhandlung auftauchte und mich hin und wieder zu einem Kaffee einlud. Er lenkte mich ab, scherzte und flirtete mit mir. Bedachte mich mit Blicken, die ich schon so lange nicht mehr geschenkt bekommen hatte. Sah die Frau in mir, die ich selbst nicht mehr erkannte. Begehrenswert, ja, er hielt mich für begehrenswert, das war mehr als offensichtlich. Manchmal habe ich mich gefragt, ob er die großen Mengen Bücher, die er immer bei mir kaufte, auch wirklich las.
Sie wurden intensiver, die Gespräche, immer länger
die Kaffeepausen, die ich mit Simon verbrachte, manchmal unternahmen wir ausgedehnte Spaziergänge. Aber ich habe nichts erzählt, kein Wort habe ich jemals über Tobias und mich verloren, habe nach außen hin immer so getan, als wäre alles in Ordnung. Ich glaube, nicht einmal Gabriele bemerkte etwas, obwohl sie mich doch täglich im Laden sah. Ich bin gut darin, das weißt du, Eva, schon als Kind habe ich es bewiesen, habe den Mund gehalten und funktioniert, obwohl ich so oft schreien wollte, wenn ich sah, was unsere Eltern dir antaten. Gleichzeitig die Angst, dass ich durch Aufbegehren die Nächste wäre, die sie sich vornehmen würden. Ja, den Vorwurf, dass ich mich geduckt habe, den kann man mir wohl machen. Jeder verfolgt seine eigene Strategie im Leben, und das war eben die meine. Und so duckte ich mich auch in den Monaten, in denen meine Ehe nur noch eine Farce, eine Zeugungsgemeinschaft war.
An einem Abend Mitte April, als Tobias mal wieder verkündete, er würde über Nacht in der Agentur bleiben, habe ich Simon angerufen und mich mit ihm verabredet. Wollte mir einfach ein bisschen die Zeit mit ihm vertreiben und nicht wie so oft allein im Haus herumsitzen. Aber möglicherweise wollte ich auch mehr, wollte es schon in dem Moment, als ich auf dem Weg zu ihm war, mir noch einredete, wir würden ein Glas Wein miteinander trinken und dann wäre es gut. Gut war es erst nach dem dritten Glas, als ich nackt neben ihm lag und ihm durch die verschwitzten Haare streichelte.
Als ich ging, sagte ich ihm, dass wir uns nicht wiedersehen
könnten. Dass ich nach Hause zu meinem Mann wolle, dorthin, wo mein Platz sei, dass es bei diesem einen Mal bleiben müsse. Er respektierte es und tauchte danach nicht mehr im Buchladen auf. Jetzt kann ich dich fast hören, Barbro, wie du lachst. Über diese Dummheit, dass ich mir nicht mehr davon nahm, wo Tobias es doch vermutlich ständig tat. Auge um Auge, Zahn um Zahn, das war schon immer dein Motto. So war ich eben nicht, mir reichte diese einzige Nacht, mehr brauchte ich nicht.
Vielleicht hätte es sogar
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